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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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mit ihrem Fall zu tun haben musste. Dennoch schien es ihr angebracht, sich in der Wohnung der Vermissten umzusehen.
    Â»Können wir uns treffen?«
    Â»Ja, gern. Wo denn?«
    Â»Am besten in der Wohnung Ihrer Schwester.«
    Susana Rossi nannte die Adresse, und Mannfeld versprach, in einer halben Stunde dort zu sein.
    Der Wohnblock in der Fahrgasse befand sich nur wenige Gehminuten von der Konstablerwache entfernt. Ein grauer, trostlos wirkender Bau, den man in der Nachkriegszeit in aller Eile hochgezogen hatte, um schnell und kostengünstig Wohnraum zu schaffen.
    Mannfeld verharrte einige Sekunden lang vor der mit Graffitis besprayten Aufzugtür. Dann wandte sie sich doch dem Treppenhaus zu und zog sich am Metallgeländer Stufe für Stufe bis in den vierten Stock hinauf. Am Ende des Etagenflurs erwartete sie an der geöffneten Wohnungstür eine etwa fünfzigjährige zierliche Frau von schlanker Statur und mit olivfarbener Haut. Auffällig an ihr war das einige Nummern zu große weiße Sweatshirt, auf dessen Vorderseite in leuchtend roten Großbuchstaben »Jesus ist das Licht« aufgedruckt war.
    Â»Hauptkommissarin Jula Mannfeld«, stellte sie sich vor und ärgerte sich, dass sie der Anstieg so außer Atem gebracht hatte. »Und Sie sind bestimmt …«
    Â»Susana Rossi.« Die Frau gab ihr die Hand und ließ sie eintreten.
    Eine Katze flüchtete mit großen Sätzen in die Küche.
    Im Wohnzimmer fiel ihr als Erstes der klobige, mit dickem Kordstoff bezogene Sessel auf, der in der Nähe des Fensters stand. Dann, an der Wand neben dem Fernseher, die Reihe von Porträtaufnahmen. Eine Art Ahnen- oder Familiengalerie, die ausschließlich Personen mit südländischem Aussehen zeigte.
    Â»Nach was genau suchen Sie denn jetzt?«
    Â»Nach nichts Bestimmtem«, antwortete sie und schenkte Susana Rossi ein aufmunterndes Lächeln. »In erster Linie nach Indizien, die einen Hinweis darauf geben könnten, weshalb Ihre Schwester gestern nicht nach Hause gekommen ist. Wer sind denn die Leute auf den Fotos?«
    Â»Unsere Verwandten. Man erkennt einen de Zosa leicht an der für unsere Familie charakteristischen fliehenden Stirn.«
    Â»Ist auch eine Aufnahme von Ihrer Schwester darunter?«
    Susana Rossi verneinte.
    Â»Haben Sie vielleicht ein Foto von ihr?«
    Â»Selbstverständlich. Aber ich trage es nicht mit mir rum. Zu Hause habe ich sogar mehrere. Wenn Sie wollen, kann ich mal bei Fátimas Fotos nachsehen. Sie hebt sie im Schlafzimmer auf.« Susana Rossi deutete auf eine Tür auf der anderen Seite des Flurs. Dabei fiel Mannfeld erstmals auf, dass sie einen Rosenkranz in der rechten Hand hielt.
    Das Schlafzimmer wurde von einem hölzernen Himmelbett dominiert, das sich auf der hellen polierten Oberfläche des Einbauschranks spiegelte. Imposante Intarsien zierten Rahmen und Kopfteil.
    Â»Das Bett ist ein Erbstück unserer Großeltern«, erklärte Susana Rossi, der Mannfelds interessierter Blick aufgefallen sein musste. »Großvater hat es gemacht. Er arbeitete in Porto als Schreiner.«
    Â»Leidet Ihre Schwester an einer Bein- oder Fußverletzung?«
    Â»Wie kommen Sie darauf?«
    Â»Wegen der Krücken«, antwortete Mannfeld und deutete auf das Paar, das an der Wand neben dem Bett lehnte.
    Â»Die braucht Fátima, wenn sie ihre Prothese abnimmt. Als Mädchen hat sie bei einem Unfall einen Unterschenkel verloren.«
    Nach einigem Suchen förderte Susana Rossi aus den Tiefen des Einbauschranks tatsächlich ein Fotoalbum zutage. Sie blätterte zwei, drei Seiten um, dann zeigte sie auf eine Aufnahme und sagte: »Das ist sie. Und das Bild ist auch noch gar nicht so alt.«
    Mannfeld beugte sich über das aufgeschlagene Album. Auf dem Bild wirkte Fátima de Zosa um einige Jahre älter, als sie tatsächlich war. Was vielleicht an den dunklen Schatten lag, die ihre Augen umrandeten. Auch sie hatte – wie ihre Vorfahren aus der de Zosa’schen Sippschaft – mit dem Makel der fliehenden Stirn zu kämpfen.
    Als Mannfeld sich wieder aufrichtete, fiel ihr Blick durch die offen stehende Seitentür auf das Innere des Einbauschranks. »Was ist das hier?«, fragte sie und deutete auf ein paar Papprollen, die halb verdeckt von Mänteln und Jacken hochkant auf dem Boden standen.
    Â»Keine Ahnung. Darin könnten sich Fátimas Bilder befinden. Meine Schwester ist

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