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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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umdrehen.«
    Â»Und die Puppen?«
    Â»Die haben mir halt gefallen.«
    Â»Und eine ist Ihnen heruntergefallen.«
    Als Vera Kaczorowski nickte, lief ihr plötzlich eine Träne über die Wange. »Ich versprech, die anderen zurückzubringen.«
    Â»Was ist mit der Kamera? Erinnern Sie sich, eine im Haus gesehen zu haben?«
    Der Blick der alten Frau ruhte starr auf dem Tisch.
    Â»Frau Kaczorowski, eine Kamera. So ein Ding, mit dem man Fotos schießt.«
    Â»Die war in der größten Puppe versteckt«, antwortete sie mit leiser Stimme und erhob sich von ihrem Schemel. Dann schlurfte sie zum Küchenschrank, holte aus einer der unteren Schubladen eine alte Canon IXUS hervor – das gleiche Modell, das er letzte Woche bei seinem Onkel in Bad König gefunden hatte – und reichte sie ihm.
    Gespannt drückte er auf den Powerknopf. Doch zu seiner Enttäuschung schaltete sich das Gerät nicht ein, da der Akku entladen war.

FÜNFZEHN
    Verblüfft sah Mannfeld auf die nicht enden wollende Kolonne von Fahrzeugen auf der Gegenfahrbahn. Aus der Vogelperspektive betrachtet, musste das morgendliche Spektakel beinahe apokalyptisch wirken. Wie eine Massenflucht nach einer Naturkatastrophe. Doch das hier war kein Erdbeben, Waldbrand oder gar Hurrikan, der die Bevölkerung aus dem Taunus in Richtung Frankfurt trieb. Es war lediglich der Berufsverkehr, der vor gut einer Stunde eingesetzt hatte.
    Als sie Klaus Bruckner telefonisch um die Erlaubnis gebeten hatten, sich in der Hinterlassenschaft seiner Mutter umsehen zu dürfen, hatte er eine merkwürdige Bemerkung fallen gelassen. Etwas in der Art, dass sie da nicht allein auf weiter Flur stünden. Doch als sie nachgehakt hatte, was er mit der Andeutung meine, hatte er nur leise gelacht und gesagt, dass er das später lieber von Angesicht zu Angesicht erklären würde.
    Während Born den Dienstwagen hinter dem Ortsschild von Schwalbach wieder auf Touren brachte, nahm sie das auf ihrem Schoß liegende Phantombild zur Hand. Sonja Romanowa hatte, was die Genauigkeit ihrer Beobachtungsgabe betraf, nicht geprahlt. Mühelos und über jeden Zweifel erhaben, hatte sie sich an jedes noch so winzige Detail im Gesicht des Modells erinnert. An das kleine Grübchen am Kinn, den sanften Schwung der Augenbrauen und das kleine punktförmige Muttermal an der Oberlippe.
    Anhand der Zeichnung versuchte Mannfeld abzuschätzen, ob ihr der Mann mit den weichen, ebenmäßigen Zügen in natura gefallen würde. Wahrscheinlich nicht, urteilte sie und ließ das Blatt zurück in ihren Schoß fallen. Sie mochte es, wenn ein Typ Macken und Kanten hatte. So wie Jan mit seiner leicht schiefen Nase, die ihm ein Mitschüler bei einem »Fight«, wie er sich markig auszudrücken pflegte, gebrochen hatte.
    Als sie die Villa erreicht hatten und Klaus Bruckner die Tür zu seinem Anwesen öffnete, zuckte sie innerlich zusammen. Der auf einen Gehstock gestützte Mann wirkte auf den ersten Blick wie das Gegenstück zum Beau auf dem Phantombild. Seine Statur war schmächtig, die Haare glänzend schwarz, die Gesichtshaut blass, und mit dem linken Auge schien irgendetwas nicht zu stimmen.
    Â»Was haben Sie denn da Interessantes in der Hand?«, erkundigte sich Bruckner, nachdem er ihnen die Mäntel abgenommen hatte. »Sieht aus wie eine dieser Polizeizeichnungen in den Filmen.«
    Â»Es handelt sich tatsächlich um ein Phantombild«, antwortete Mannfeld und hielt das Blatt in die Höhe, sodass Bruckner das darauf abgebildete Gesicht sehen konnte. »Kommt Ihnen der Mann bekannt vor?«
    Â»Nein. Müsste er? Um wen handelt es sich denn, bitte?«
    Â»Das wissen wir leider noch nicht«, sagte Mannfeld und dachte, dass es ihnen nun wohl doch nicht erspart blieb, mit der Zeichnung an die Öffentlichkeit zu gehen. »Die Person könnte ein Bekannter Ihrer Mutter gewesen sein. Möglicherweise hat sie den Mann in einem Malkurs kennengelernt.«
    Â»In einem Malkurs«, wiederholte Bruckner und strich sich mit seinem knöcherigen Zeigefinger ein paarmal über sein Oberlippenbärtchen.
    Â»Wundert Sie das?«
    Â»Nein, nicht wirklich. Gestern hat mich auch schon jemand auf einen angeblichen Bekannten meiner Mutter angesprochen. Derjenige hatte aber kein Bild dabei. Und genau wie Sie wollte er sich unter den persönlichen Sachen meiner Mutter umsehen.«
    Â»Und? Haben Sie es ihm

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