Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
Lippen, die einen leichten Überbiss verbargen, und eine Figur, bei der DC Rennie gleich das Sabbern angefangen hätte. »Also, Miss …?«
»Mrs. – Mrs. Cruickshank. Es geht um meinen Mann, Gavin. Er ist seit Mittwochmorgen nicht nach Hause gekommen!« Sie biss sich auf die Unterlippe, und neue Tränen quollen aus ihren geröteten Augen. »Ich … ich weiß nicht, was ich tun soll!«
»Haben Sie ihn schon als vermisst gemeldet?«
Sie nickte, das Taschentuch an die scharlachrote Nase gedrückt, und rang zitternd nach Luft. »Die … die haben mir gesagt, sie könnten nichts tun !« Mrs. Cruickshank vergrub ihr Gesicht in den Händen und heulte und heulte und heulte. Logan gab ihr ein paar Minuten, um zu sehen, ob sie sich wieder fangen würde. Dann erbot er sich, ihr eine Tasse Tee zu holen, und entschuldigte sich, obwohl er sich gleich wie ein Schwein vorkam, weil er sie einfach so sitzen ließ. Kaum hatte Logan die Empfangshalle betreten, sprang Sandy die Schlange schon wieder von seinem Stuhl auf. Diesmal gelang es ihm immerhin, zu sagen: »DS McRae, ich muss darauf bestehen –«, ehe Logan ihn mit einer Handbewegung abwimmelte und Eric bat, ihm die Vermisstenmeldung für einen gewissen Mr. Gavin Cruickshank herauszusuchen. Und eine Tasse Tee für Mrs. Cruickshank zu holen. Als er sich vom Empfangstresen abwandte, stand der Schleimige Widerling direkt vor ihm. Mit seinen knapp eins neunzig war der Anwalt gerade eben groß genug, um über seine schiefe Nase hinweg auf Logan herabsehen zu können. »Ich bin hier wegen meines Mandanten, Mr. James McKinnon. Sergeant , ich bestehe darauf, dass Sie mir Zugang zu ihm gewähren!«
Arroganter Arsch. Logan starrte den Mann finster an, und seine Wut wurde mit jeder Sekunde größer. Für wen hielt der Kerl sich eigentlich, dass er hier aufkreuzte und den großen Zampano markierte? »Sie können darauf bestehen, so viel Sie wollen; ich habe im Moment keine Zeit – ein verzweifeltes Mitglied der Bevölkerung braucht meine Hilfe. Sie wollen zu Ihrem Mandanten? Versuchen Sie’s doch mal im Krankenhaus – die Besuchszeit geht von halb drei bis fünf.« Er schob sich an Mr. Moir-Farquharson vorbei und strebte auf das Nebenzimmer zu. Eine feste Hand packte ihn an der Schulter.
»Ich bestehe darauf, dass Sie –«
Logan blickte sich nicht um – aus Furcht, er könnte dem Schwein eine verpassen. »Nehmen Sie Ihre verdammte Flosse von meiner Schulter, sonst breche ich Ihnen jeden Finger einzeln.« Seine Stimme war leise, aber deutlich, die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorgestoßen. Er gierte geradezu nach einem Anlass, etwas von der ganzen Wut, die sich in diesen beschissenen letzten sechs Monaten in ihm aufgestaut hatte, an diesem schmierigen, eingebildeten, schäbigen kleinen Winkeladvokaten auszulassen. Moir-Farquharson zuckte zurück, als hätte er sich die Finger verbrannt.
Schweigen.
Die Tür zum Empfang flog auf, ein abgerissener Typ schlurfte herein und entschärfte mit seinem Auftritt die angespannte Situation. Er trug einen schäbigen FC-Aberdeen-Trainingsanzug, der in der vorvorletzten Saison aktuell gewesen war, und einen Bart, der mehr nach Schimmelbewuchs als nach Haaren aussah, und wankte zielsicher auf den Empfangsschalter zu, wo er mit der Faust auf den Tresen hämmerte und rief: »Mir hamse mein Rezept geklaut!«
Die Vermisstenmeldung wurde auf einem Tablett angeliefert, zusammen mit zwei Tassen heißem Tee mit Milch und einem zusammengefalteten Zettel mit einer Nachricht von Sergeant Eric Mitchell: Er riet Logan, die Vernehmung zügig zu beenden und dann zuzusehen, dass er Land gewann und sich heute nicht mehr im Präsidium blicken ließ. Sandy, diese gerissene Schlange, legte offiziell Beschwerde ein.
Logan bemühte sich, nicht den Eindruck zu erwecken, dass er den Vorgang beschleunigen wollte, als er mit Gavin Cruickshanks völlig aufgelöster Ehefrau die Einzelheiten des Falles durchging. Er erfuhr, dass sie beide unbedingt ein Kind wollten und sie schon seit Monaten vergeblich versuchte, schwanger zu werden. Dass sie aufgehört hatte zu arbeiten, um weniger gestresst und damit fruchtbarer zu sein. Dass Gavin derzeit fast jeden Tag bis spätabends arbeiten musste. Und er erfuhr von seinem Kleinkrieg mit der Nachbarin. Das letzte Mal hatte sie ihren Mann am Mittwochmorgen gesehen, als er mit einer Sonnenbrille das Haus verlassen hatte – um das Veilchen zu verstecken, das ihm der Drache von nebenan verpasst hatte. Er war immer
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