Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
»ist ein schreckliches Foto. Ich muss mit Mr. Cruickshanks Kollegen sprechen, und mit allen anderen Personen, die ihn am Mittwoch gesehen haben könnten.«
»Aber er ist am Mittwoch gar nicht in die Firma gekommen!«
Logan runzelte die Stirn. »Sind Sie sicher?«
Die Frau nickte und tippte mit einem lackierten Fingernagel auf den Empfangstresen. »Ich hätte ihn doch gesehen.« Logan blickte sich rasch im Empfangsbereich um. Er war nicht sehr groß, und der Eingang lag direkt gegenüber vom Arbeitsplatz der Empfangsdame. Sie hatte recht: Wenn er durch den Vordereingang gekommen wäre, hätte sie ihn gesehen.
»Gibt es noch einen anderen Eingang?«
Sie nickte und deutete auf eine offene Tür links vom Empfang. »An der Seite, aber da muss man über den Hof, und das Tor ist immer abgeschlossen. Na ja, außer, wenn Geräte ausgeliefert oder zurückgegeben werden. Aber jeder parkt vor dem Haus – ich hätte seinen Wagen gesehen.«
»Wenn das so ist«, fragte Logan, »wie kommt es dann, dass Mrs. Cruickshank, als sie am Mittwochnachmittag hier anrief, die Auskunft erhielt, ihr Mann sei zu einem Kunden gefahren?«
Sie errötete leicht. »Das weiß ich nicht.«
Logan ließ das Schweigen eine Weile in der Luft hängen und hoffte, sie würde es vielleicht brechen und ein bisschen mehr verraten. Aber das tat sie nicht. Stattdessen schien sie sich plötzlich brennend für die Telefone zu interessieren, als wollte sie sie beschwören, doch endlich zu klingeln und ihr einen Vorwand zu liefern, nicht mehr mit ihm reden zu müssen. Ihre Wangen wurden von Minute zu Minute röter. »Okay«, beendete er schließlich selbst die unbehagliche Pause, »dann muss ich jetzt mit sämtlichen Personen sprechen, die mit ihm zusammenarbeiten.«
Sie fand ein freies Büro für ihn im Obergeschoss – nämlich das von Gavin: ein unordentliches Zimmer, mit einem Aktkalender innen an der Tür und einem zweiten an der Wand gegenüber, zwei Computern und einem riesigen Schreibtisch, der aussah, als wäre er seit der letzten Eiszeit nicht mehr aufgeräumt worden. Aber immerhin hatte man von hier eine herrliche Aussicht auf den Parkplatz. Einer nach dem anderen wurden sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ScotiaLift in das von Logan beschlagnahmte Büro bestellt, vom Hilfsarbeiter bis hinauf zum Geschäftsführer – und alle saßen sie ihm an dem chaotischen Schreibtisch gegenüber und erzählten ihm, was für ein Pfundskerl Gavin Cruickshank sei und dass es ihm gar nicht ähnlich sähe, einfach so zu verschwinden. Niemand gab zu, mit Gavins Frau telefoniert und ihr gesagt zu haben, er sei nur eben zu einem Kunden gefahren. Logan wollte schon wieder gehen, als ein schicker zweisitziger Sportwagen vor dem Gebäude vorfuhr. Von seinem Fenster im ersten Stock sah Logan zu, wie ein braun gebrannter Mann von Anfang zwanzig heraussprang, mit dem Schlüssel auf den Wagen zielte und die Alarmanlage anklickte. Dann schlenderte er lässig auf das Gebäude zu und verschwand aus Logans Blickfeld. Dreißig Sekunden später erschien dasselbe braun gebrannte Gesicht in der Tür von Gavins Büro und grinste Logan an.
»’n Abend, Meister, hab gehört, dass mein Typ hier gefragt ist.« Blonde Stachelfrisur, Leinenanzug, kein Schlips, Sonnenbrille von Armani, leichter Dundee-Akzent.
»Kommt drauf an. Haben Sie am Mittwoch mit Gavin Cruickshanks Frau telefoniert?«
»Mit der süßen Ailsa?« Das Grinsen wurde noch breiter, während der Mann sich aus seinem Jackett schälte und es an den Türhaken hängte. »Schuldig im Sinne der Anklage. Ich sag Ihnen, es kann nicht mehr lange dauern, bis sie zur Besinnung kommt und diesen Arsch vor die Tür setzt, den sie da geheiratet hat.« Er zwinkerte Logan zu. »Haben Sie sie mal kennen gelernt? Titten wie Melonen, sexyer, als die Polizei erlaubt. Schwer zu glauben, dass die mal so ’ne fette Kuh war. Die muss doch abgehen wie Nachbars Lumpi …« Selig seufzend gab er sich seiner Fantasie hin.
»Um auf Mittwochnachmittag zurückzukommen: Warum haben Sie ihr erzählt, Gavin sei bei einem Kunden?«
»Hmm? Na ja, weil es so war.«
»Komisch. Alle anderen sagen, er sei an diesem Tag gar nicht in die Firma gekommen.«
Pause. Ein nervöses Zucken. Und dann war das Lächeln wieder da. »Da haben sie mich kalt erwischt. Es stimmt, er ist am Mittwochmorgen nicht erschienen.«
»Und warum haben Sie seine Frau angelogen?«
»Na ja, wissen Sie, das ist so: Er kommt öfters erst ein bisschen später. Und manchmal
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