Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
kräftigen Zug von seinem Guinness genommen hatte, seufzte er und wischte sich den weißen Schaum-Schnurrbart von der Oberlippe. »Mann, das habe ich jetzt gebraucht.«
»Schweren Tag gehabt?«
Doc Fraser nickte und trank noch einen großen Schluck. »Das können Sie sich gar nicht vorstellen. Solange Isobel nicht da ist, bleibt alles an mir allein hängen. Und sie wissen ja, wie es zurzeit bei uns zugeht: eine verdammte Leiche nach der anderen. Was ich allein in dieser Woche so an toten Junkies aufgeschnitten habe …« Noch ein Seufzer. »Ach ja, fast hätte ich’s vergessen – dieser stinkende Torso, den Sie mir gestern angeschleppt haben: die gleichen Stichwunden wie bei Ihrem vergammelten Hundekadaver, und der Magen war auch voll mit Antidepressiva.« Er lehnte sich zurück und runzelte die Stirn. »Wenn ich’s mir recht überlege, kam jede einzelne verfaulte, eitrige Leiche, die ich in den letzten sechs Monaten aufschneiden musste, von Ihnen – haben Sie das gewusst? Sie sind jetzt offiziell von der Weihnachtskarten-Liste der Rechtsmedizin gestrichen.«
»Ach, in Wirklichkeit lieben Sie es doch.« Logan grinste. »Aber wieso müssen Sie eigentlich die ganzen Obduktionen machen? Wo ist denn Isobel?«
Der Rechtsmediziner zuckte mit den Achseln und goss sich den Rest seines Guinness hinter die Binde. »Keine Ahnung; sie ist heute nicht zur Arbeit erschienen. Hab versucht, sie anzurufen, aber sie war nicht da. Na ja, eigentlich führt sie sich schon seit Wochen auf wie ein tollwütiges Wiesel – vielleicht haben die Jungs mit den weißen Kitteln sie ja jetzt abgeholt, in eine nette kleine Gummizelle in Cornhill gesteckt und ihr so viel Malkreiden gegeben, wie sie nur essen kann.«
Die Stimmung trübte sich ein wenig, als ein Typ vom Drogendezernat auftauchte und brühwarm erzählte, dass DI Steel den wahren Shore-Lane-Stalker geschnappt habe! Rennie sprang sofort auf und wollte wissen, wie er darauf käme, dass DI Steel irgendwen geschnappt habe. »Das waren wir!«, rief er und pochte sich auf die Brust. »Wir haben das Schwein geschnappt, nicht sie! Sie war ja nicht mal dabei!« Logan stöhnte nur still vor sich hin. Er war noch nicht dazu gekommen, Rennie von dem Belobigungsschreiben zu erzählen.
Die vierte Runde ging auf Logan. Er torkelte an den Tisch zurück und stellte ein Tablett voller Getränke und Knabberzeug darauf ab: Chips für die normalen Menschen, Schweinekrusten für Doc Fraser. Er verteilte gerade die Gläser, als jemand fluchte, ihn am Ärmel zupfte und auf den Fernseher zeigte, der in der Ecke unter der Decke hing. DI Steel starrte vom Bildschirm auf ihn herab. Mit ernster Miene redete sie in die Kamera, doch bei dem Lärm im Pub konnte man kein Wort verstehen. Ein Blitzlichtgewitter erhellte ihre zerklüfteten Züge; dann nahm sie Platz, worauf der Polizeipräsident im Bild erschien und offenbar eine Art Rede hielt. Und dann folgten Archivaufnahmen der Shore Lane und Fotos der Opfer aus der Zeit, als sie noch nicht mit Michael Dunbars Fäusten Bekanntschaft gemacht hatten.
Logan schloss die Augen und fluchte. Er hatte sich selbst gründlichst jede Chance vermasselt, irgendwelche Lorbeeren für die Aufklärung der Koffertorso-Morde zu ernten, und nach der lautstarken Auseinandersetzung auf dem Korridor würde Steel auch zu verhindern wissen, dass er sich den Shore-Lane-Stalker ans Revers heftete. Wenn das kein Grund war, sich sinnlos zu betrinken …
Logan stieg torkelnd aus dem Taxi und blieb stehen. Er lehnte sich nach hinten, um nicht nach vorne zu kippen, dann lehnte er sich nach vorne, um nicht nach hinten zu kippen, während der rostige Ford in der engen Straße wendete und davontuckerte. Stirnrunzelnd drehte er sich um und sah das Taxi gerade noch um die Kurve biegen und verschwinden. Mist. Er hatte dem Fahrer doch sagen wollen, dass er warten solle. Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, steckte er sich das Hemd in die Hose und schritt entschlossen auf Dr. Isobel MacAlisters Haustür zu. Miller hatte in diesem Viertel eine eigene Wohnung gehabt, aber die hatte er verkauft, um bei der Eiskönigin einzuziehen. »Mögen ihnen viele, viele glückliche Jahre miteinander beschieden sein«, sagte er zu dem riesigen Rhododendron, der im abendlichen Dämmerlicht aufragte. Seine dunkelroten Blätter glänzten im Schein der sinkenden Sonne wie frisch geschnittene Leberscheiben. Er drückte auf den Klingelknopf, und hinter der Milchglasscheibe ertönte ein bürgerliches
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