Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
Kinderschänder kennen lernen? Dann versuch doch mal, in so einem Scheißkinderheim aufzuwachsen! Versuch’s mal mit sechs Jahren im Jugendknast!«
In ihrer Ecke bei den Shiraz- und Zinfandel-Vorräten kauerte Jackie und schluchzte hemmungslos. Ihre Schreie wurden immer lauter, und die Worte flossen zu einem einzigen unverständlichen Schwall ineinander: »OGottneinOGottneinOGottneinOGottnein …« Sie hatte die Knie an die Brust gezogen und bedeckte ihr Gesicht mit dem Gipsarm, der über und über mit Ruß und PC Steves Blut beschmiert war.
»Herrgott noch mal …« Chib wandte sich angewidert von ihr ab. »Greg, bitte, tu doch was, damit dieses fürchterliche Geschrei aufhört!«
Das Wort »Nein!« kam blubbernd über Logans aufgesprungene Lippen, während Chibs Freund auf Jackie zuging und mit der Pistole wie mit einem Knüppel ausholte, um sie ihr über den Schädel zu ziehen. Und genau in diesem Moment boxte ihm WPC Watson mit aller Kraft in die Eier. Greg riss den Mund auf und rang gequält nach Luft, doch da schnellten schon Jackies Beine vor, trafen ihn am Knie und warfen ihn krachend auf den Küchenboden. Fauchend stürzte sie sich auf ihn und hieb ihm ihren Gipsarm ins Gesicht, immer und immer und immer wieder. Chib schrie auf und wollte sich auf sie werfen, doch Jackie war schneller und rollte gewandt zur Seite. Der schwere Mann verlor das Gleichgewicht und fiel gegen das Weinregal; Flaschen flogen heraus und zerschellten am Boden. Schon war sie wieder aufgesprungen, die Pistole in der rechten Hand. Der Gips an ihrem linken Arm war gesprungen und blätterte ab, bespritzt mit frischem, leuchtend rotem Blut. Greg rührte sich nicht.
Das Ganze hatte keine vier Sekunden gedauert.
Sie lächelte – von Hysterie keine Spur mehr. »Weiber, hm? Denen kann man doch nie über den Weg trauen.«
Chib leckte sich die Lippen. Sein Blick ging von der Mündung der Pistole zu der am Boden ausgestreckten, blutüberströmten Gestalt seines Freundes. »Greg?«
»Auf den Boden – Hände in den Nacken, Beine übereinander.«
Chib kroch auf Händen und Knien zu seinem Freund und legte eine Hand auf dessen reglosen Körper. »Greg, bist du okay?«
»Ich sagte, Hände in den Nacken!«
»Wir müssen einen Krankenwagen rufen! Er atmet nicht mehr!«
»Gut so!« Sie trat Greg ans Bein. »Das Arschloch hat meinen Freund erschossen!«
Logan spuckte einen Mund voll Blut aus und zuckte zusammen. »Jackie, wir müssen ihm einen Krankenwagen rufen.«
»Ach ja? Wieso?« Sie drehte sich zu ihm um, ihr Gesicht war wutverzerrt. »Wieso sollte dieses Stück Scheiße leben, wenn Steve sterben muss?«
»Warum sollte auch nur einer von den beiden leben?« Es war Isobel; ihre Stimme war schwach und zittrig. »Seht euch doch an, was sie getan haben! Ihr verhaftet sie – und was dann?« Sie wurde lauter. »Sie werden vor Gericht gestellt und kriegen vielleicht vierzehn Jahre. Nach sieben Jahren werden sie wegen guter Führung entlassen, oder weniger, wenn die Untersuchungshaft angerechnet wird! Glaubt ihr, die Schweine würden nicht wiederkommen? Erschießt sie doch endlich!«
Logan wandte sich um und starrte sie entgeistert an. »Du kannst sie nicht einfach töten wie räudige Hunde – sie sind Menschen!«
»Nein, das sind sie nicht.« Jackie stellte Chib den Stiefel ins Kreuz und versetzte ihm einen Stoß, der ihn flach zu Boden warf. Sie hob die Pistole hoch, sah sich den Mechanismus genau an und lud durch.
» JACKIE, NEIN !«
»Greg?« Chib kniete wieder. »Komm schon, Greg, atme!«
»Tun Sie es!« Isobel bettelte geradezu, ihr Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzerrt. »Niemand wird es je erfahren. Colin kennt jemanden, der eine Schweinezucht hat – da können wir die Leichen verschwinden lassen! Sie kommen wieder, wenn Sie es nicht tun! «
» JACKIE !«
Sie setzte die Pistole an Chibs Hinterkopf.
45
Zwei Tage später.
»Wie viel davon ist wahr?«, fragte Insch und warf Logans Bericht über den Schreibtisch zurück. Fünfzehn Seiten Lügen und Halbwahrheiten, alles heute früh ausgedruckt, nachdem er aus dem Krankenhaus zurückgekommen war. Vor dem Bürofenster des Inspectors küssten die Strahlen der Morgensonne die Stadt und ließen den grabsteinartigen Glas-Monolithen des St. Nicholas House glitzern und funkeln. Es war die Abschiedsvorstellung des Sommers – von nun an waren die Wetteraussichten nur noch düster und deprimierend. Danke, Aberdeen, und auf Wiedersehen im nächsten Jahr …
»Alles. Jedes
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