Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
Enkel begraben muss, das ist doch nicht recht!« Der Betreuungsbeamte wurde zum Teekochen geschickt, während Logan sich unauffällig entschuldigte, um einen raschen Rundgang durch die Wohnung zu machen. Sie war groß und ein wenig verwahrlost, aber mehr als ein gründlicher neuer Anstrich fehlte ihr eigentlich nicht. Er sah sich nacheinander in allen Zimmern um, schaute unter die Betten, in die Schränke und Schubladen. Die ganze Zeit über drangen die gedämpften Stimmen von DI Insch und der schluchzenden Frau durch die geschlossene Wohnzimmertür. Küche, Bad, kleines Schlafzimmer, Mrs. Kennedys Schlafzimmer mit ihren gerahmten Auszeichnungen und Gruppenfotos ihrer Schulklassen … Nur eine der Türen, die vom Flur abgingen, war verschlossen – vermutlich lag dahinter die Treppe zum Dachboden –, aber Grahams Zimmer war nicht abgeschlossen. Das Bett gemacht, die Kleider alle ordentlich zusammengefaltet und aufgeräumt, alle Socken zu Paaren sortiert, nicht einmal ein einziges Pornoheft unter dem Bett. Das passte so gar nicht zu dem Bild von Graham Kennedy, das Logan aus der Lektüre seines Vorstrafenregisters gewonnen hatte. Leichte Körperverletzung, Einbruch, Drogenbesitz … Überwiegend Bagatelldelikte, aber es läpperte sich. Er ging zurück ins Wohnzimmer, gerade rechtzeitig, um zu hören, wie DI Insch sagte: »Wir finden schon selbst hinaus.« Den Betreuungsbeamten ließen sie zurück.
An der Haustür blieben sie stehen und blickten hinaus in den Regen, der auf die Autodächer trommelte. »Und?«, fragte Insch.
»Nichts. Die Wohnung ist blitzsauber. Wenn er irgendwelche Ware versteckt hatte, dann jedenfalls nicht in der Wohnung seiner Oma.«
Insch nickte und angelte betrübt die letzte Fruchtpastille aus der Tüte. »Armes Mütterchen – hat ihn praktisch allein großgezogen. Grahams Eltern sind gestorben, als er drei war, und ein Jahr darauf hat ihr Mann das Zeitliche gesegnet.« Er seufzte. »Jetzt hat sie ihre ganze Familie verloren.«
»Hat sie irgendwas über Grahams kriminelle Aktivitäten gesagt?«
Der Inspector schüttelte den Kopf. »Für sie war er ein richtiger kleiner Engel. Sie sagt, er sei nur durch seine Freunde in Schwierigkeiten geraten, und von denen hat sie noch nie viel gehalten. Die hätten ihn schon in der Schule auf die schiefe Bahn gebracht.«
»Sie weiß nicht zufällig die Namen dieser –«
DI Insch hielt einen Notizblock hoch, auf den er fünf Namen gekritzelt hatte. »Ach, wenn ich Sie nicht hätte.« Er steckte den Block wieder in die Tasche. »Na schön, zurück aufs Revier. Sie haben ja eigentlich frei, und ich habe eine Ermittlung zu leiten.«
Als Logan endlich in seine Wohnung zurückkam, war Jackie nicht da. Nur ein Zettel am Kühlschrank: HABE VERLÄNGERTE NACHTSCHICHT – BIN MORGEN WIEDER DA . Kein KUSS, JACKIE , nicht mal LIEBE GRÜSSE . So musste er also für sich selbst sorgen, was er auch tat – mit einer 35-cm-Pizza und zwei Flaschen Wein.
Auch der Sonntag begann nicht gerade verheißungsvoll: Er wachte allein auf, tigerte mit schwerem Schädel in der Wohnung herum und wärmte sich zum Frühstück die letzten zwei Stücke Pizza in der Mikrowelle auf. Als er dann nackt in der Küche stand, auf seinem lauwarmen Pappkarton mit Hackfleisch und extra Käse herumkaute und verdrießlich in den Regen hinausstarrte, musste er zugeben, dass es mit der Diät nicht gerade ideal lief. Sein narbenübersäter Bauch erinnerte weniger an ein Waschbrett als an einen prall gefüllten Wäschesack. Und drinnen rumorte es gewaltig.
Um halb elf war Jackie noch immer nicht zurück, also zog Logan ohne sie los. Sie wollte nicht mit ihm reden? Sollte sie doch sehen, wo sie blieb. Er hatte Besseres zu tun an seinem freien Tag, als wie ein liebeskranker Teenager schmollend in der Wohnung rumzuhängen. Er wusste bloß nicht so genau, was dieses Bessere eigentlich war. Also machte er sich auf, um in den Straßen von Aberdeen danach zu suchen.
Im Belmont-Kino lief eine Hitchcock-Retrospektive. Das passte doch. Er konnte den ganzen Tag damit verbringen, sich reinzuziehen, wie Cary Grant von Flugzeugen gejagt wurde, wie Anthony Perkins die weiblichen Gäste in der Dusche beobachtete, wie James Stewart fast vom Dach fiel … Der unsichtbare Dritte strebte gerade dem Höhepunkt zu, als Logans Handy losplärrte und mit seinem Gepiepse und Gedudel den Kampf am Mount Rushmore untermalte. In dem kleinen Kinosaal erhob sich verärgertes Gemurmel, während Logan fluchend das Telefon aus der
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