Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
obersten Stockwerk eines der schmuddeligeren Häuser, dessen Eingangstür mit mehreren Schichten abplatzender blauer und grüner Farbe bedeckt war. Die Straße war menschenleer, bis auf ein Trio von kleinen Kindern, die gegenüber in einem Hauseingang standen, Chips futterten und den Auftritt der Polizei interessiert beobachteten. Ein Streifenwagen, Alpha Vier-Sechs, stand schon vor dem Haus, als PC Steve Inschs Range Rover eine halbe Meile vom Bordstein entfernt parkte und dafür vom Inspector gehörig zusammengestaucht wurde. Er wurde knallrot und ruckelte den Wagen so lange vor und zurück, bis der Bürgersteig in Gehweite war. Er bekam den Auftrag, im Wagen zu bleiben und auf den Spaniel aufzupassen.
Auf Anweisung des Inspectors hatte Alpha Vier-Sechs einen Betreuungsbeamten mitgebracht, einen nervösen jungen Mann mit triefender Nase, der ständig über seine eigenen Füße stolperte. Nachdem er sie mit einem feuchten Händedruck begrüßt hatte, eilte er hinter Insch und Logan durch den Regen auf das Haus zu und gestand ihnen unterwegs, dass dies sein erster Fall sei. Insch hatte Mitleid mit dem Mann und schenkte ihm eine Fruchtpastille, wofür dieser sich geradezu abartig dankbar zeigte. Die Treppe zum Obergeschoss war mit einem schäbigen, abgelaufenen Teppich ausgelegt, die Wände zierte eine abblätternde Velourstapete. Und über allem lag der unverwechselbare, stechende Geruch von Katzenpisse. Wohnung Nr. 5: braune Tür, die angeschraubte Messingnummer glanzlos, darunter ein Schild: » MR. UND MRS. KENNEDY «.
»Na schön«, sagte Insch, »die Sache läuft so ab: Wir gehen rein, ich überbringe die Todesnachricht.« Er hielt Logan seine Tüte mit den Fruchtpastillen hin. »DS McRae schaut sich ein bisschen in der Wohnung um, solange die Familie noch unter Schock steht.« Jetzt war Mr. Triefnase an der Reihe, sich eine Pastille zu nehmen. »Und Sie kochen Tee.« Der junge Mann machte Anstalten, gegen seine Degradierung zum Teejungen zu protestieren, doch Insch fuhr ihm über den Mund. »Die ganze Lassen-Sie-Ihren-Gefühlen-freien-Lauf-Nummer, die man Ihnen beigebracht hat, können Sie hinterher bringen, wenn wir weg sind. Jetzt merken Sie sich bloß: Ich nehme Milch und zwei Stück Zucker, DS McRae nur Milch. Okay?«
Der Betreuungsbeamte murmelte »Okay«, während Logan klingelte. Und dann warteten sie. Und warteten. Und warteten … Endlich wurde es im Oberlicht über der Tür hell. Man hörte schlurfende Schritte, dann die Stimme einer alten Frau: »Wer ist da?«
»Mrs. Kennedy?« Insch hielt seinen Dienstausweis vor den Spion. »Dürfen wir bitte reinkommen?« Die Kette rasselte, und im Türspalt tauchte ein verwittertes Gesicht mit dicker Brille und grauer Dauerwelle auf. Die Frau beäugte die Polizisten vor ihrer Wohnungstür mit besorgter Miene. In den letzten Jahren hatte es hier in der Straße eine ganze Reihe von Einbrüchen gegeben – eine ältere Dame war sogar im Krankenhaus gelandet. Der Inspector reichte ihr seinen Ausweis, den sie auf Armeslänge hielt und über den Rand ihrer Brille hinweg musterte. Die Stimme des Inspectors war sanft: »Bitte, es ist wichtig.«
Sie drückte die Tür zu, rasselte noch ein wenig herum und zog sie dann ganz auf, worauf ein schäbiger Flur sichtbar wurde, der quer zum Eingang verlief und mit Siebzigerjahre-Sperrholztüren gespickt war. Die Frau führte sie in ein großes Wohnzimmer, dessen verblichene gelbe Tapete mit orangefarbenen und roten Rosen gemustert war. Zwei klapprige Sofas standen in der Mitte eines Teppichs mit Spiralmuster. Holz und Stoff ächzten bedenklich, als Insch sich niederließ. Die alte Dame beschäftigte sich unterdessen mit einer orangefarbenen Tigerkatze von der Größe und Form eines Strandballs.
»Mrs. Kennedy«, sagte Insch, während die Riesenkatze auf den Couchtisch sprang und sich den Hintern zu lecken begann, »ich habe leider eine sehr traurige Nachricht für Sie. Es geht um Ihren Enkel Graham. Er war unter den Personen, die bei dem Feuer in der Nacht von Montag auf Dienstag ums Leben gekommen sind. Es tut mir leid.«
»O mein Gott …« Sie packte die Katze und riss sie unsanft aus ihrem Putzritual. Das Tier sank auf ihrem Schoß zusammen, die Beine nach allen Richtungen ausgestreckt, wie ein zu stark aufgeblasener Dudelsack mit Haaren.
»Mrs. Kennedy, wissen Sie, ob Ihr Enkel irgendwelche Feinde hatte?«
Sie schüttelte den Kopf, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »O Gott, Graham … Dass man seinen eigenen
Weitere Kostenlose Bücher