Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
Schwelle stehen und spähte die menschenleere Straße hinauf und hinunter. »Was haben Sie gefunden, als Sie die anderen Gebäude durchsucht haben?«
»Nichts, rein gar nichts.«
Logan nickte und trat auf die Straße hinaus, drehte sich einmal langsam im Kreis und ließ den Blick über die vernagelten Häuser auf beiden Straßenseiten schweifen. Wenn er das kranke Dreckschwein wäre, das die Tür zugeschraubt hatte, damit drei Männer, zwei Frauen und ein neun Monate altes Baby bei lebendigem Leib gegrillt wurden, dann hätte er in der Nähe bleiben und zuschauen wollen, wie sie brannten. Das wäre doch der eigentliche Spaß gewesen. Er überquerte die Straße, rüttelte an den Klinken der Haustüren, um zu sehen, ob eine vielleicht nicht verschlossen war … Zwei Häuser weiter fiel ihm etwas ins Auge, etwas Graues, Matschiges, das in der Ecke des Türrahmens klemmte. Es war fast nicht zu erkennen: ein Papiertaschentuch, vom Regen durchtränkt und fast durchscheinend, in Auflösung begriffen. Logan nahm einen kleinen transparenten Beweismittelbeutel aus der Tasche, krempelte ihn um und zog ihn sich wie einen Handschuh über die Hand, um das Taschentuch zu greifen; dann stülpte er den Beutel wieder um, sodass er den Inhalt umschloss. Ein Schatten legte sich auf den Hauseingang.
»Was ist das?«, fragte DI Insch.
Logan schnupperte vorsichtig an dem offenen Plastikbeutel. »Wenn ich mich nicht sehr irre, handelt es sich um ein vollgewichstes Taschentuch. Der Typ hat vermutlich hier gestanden und sich angesehen, wie das Haus brannte. Er hat sich ihre Todesschreie angehört und den Geruch von geröstetem Menschenfleisch eingeatmet und sich dabei einen runtergeholt.«
Insch rümpfte die Nase. »PC Jacobs hat recht: Sie haben wirklich eine saumäßig kranke Fantasie.«
11
Die Frau nebenan war schon wieder betrunken. Im Garten hinter ihrem Haus torkelte sie zur Musik von Northsound One herum, die aus dem Radio dröhnte, und trank Wein aus der Flasche, ohne sich an dem strömenden Regen zu stören. Sie war nicht ganz richtig im Kopf, das hatte man gleich gemerkt, als sie eingezogen waren, sie und ihr komischer spitzgesichtiger Freund, zusammen mit ihrem riesigen schwarzen Labrador. Ein richtig hübscher Hund, ein großer, sabbernder Ausbund an Freundlichkeit, aber seit zwei Wochen war er spurlos verschwunden. Die Frau sagte, er sei wahrscheinlich entlaufen. Ein undankbares Miststück sei er, das kein Zuhause verdient hätte.
Dasselbe sagte sie über ihren Freund.
Kopfschüttelnd wandte Ailsa Cruickshank sich vom Fenster ab und machte das Bett. Der Frau von nebenan war es egal, dass ihr Hund entlaufen war, also hatte Ailsa es übernehmen müssen, die Zettel zu schreiben, in Klarsichthüllen zu stecken und in ganz Westhill an die Ladentüren und Laternenpfähle zu hängen. Niemand sollte sagen, dass sie sich nicht genug einsetzte.
Draußen wurde es jetzt noch lauter, als die Frau bei einem Rap-«Song« mitzugrölen begann. Der Sender überblendete die ganzen Obszönitäten mit einem Piepton, aber die Frau von nebenan hatte keine eingebaute Zensur und brüllte all die Schweinereien aus voller Lunge heraus. Schaudernd floh Ailsa ins Wohnzimmer und drehte den Ton ihres Fernsehers ganz laut. Die Frau war nicht ganz richtig im Kopf, jeder wusste das – sie nahm Tabletten. Unverschämt, trunksüchtig, gewalttätig; der Alptraum jedes Nachbarn. Wie sollten Ailsa und Gavin hier in Frieden eine Familie gründen, wenn nebenan ständig diese Hexe kreischte und schrie? Gavin und die Frau von nebenan lagen sich ständig in den Haaren, stritten wegen des Lärms und der unflätigen Ausdrücke, die sie benutzte, drohten sich gegenseitig mit der Polizei … Ailsa schüttelte traurig den Kopf, als sie zusah, wie ihre Nachbarin auf dem nassen Rasen ausrutschte, sich den Kopf am Ständer der Wäschespinne anschlug und eine Minute lang heulend dalag, um dann fluchend und kreischend die Weinflasche an den Zaun zu schleudern, wo sie mit einem lauten Knall zersprang. Ailsa zitterte. Irgendwann würde diese Frau jemandem etwas antun, das wusste sie einfach.
Die Union Grove sah wesentlich gepflegter aus, als sie tatsächlich war: eine lange, breite Straße mit Mietshäusern aus Granit, die im Westen der Stadt von der Holburn Street abzweigte, gesäumt von parkenden Autos, zwischen denen hier und da ein Baum wuchs. Das Laub glänzte im Regen. Bei der Adresse, unter der Graham Kennedy gemeldet war, handelte es sich um eine Wohnung im
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