Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
bei denen rassistische Spannungen zu ernsthaften Krawallen ausarteten, sind die Beziehungen im Allgemeinen harmonisch. Wie viele Menschen, für die wirkliche Armut nur eine oder zwei Generationen in der Vergangenheit zurückliegt, sind die Spanier eher bereit, zu akzeptieren, dass auch andere in der Welt vorankommen wollen. Das ist vor allem in Andalusien so, wo fast jede Familie Angehörige hat, die auf Arbeitssuche ins Ausland gehen mussten.
Dennoch können kulturelle Konflikte problematisch werden. Alkohol und Schweinefleisch gehören wesentlich zur spanischen Kultur; Frauen tragen kurze Röcke, liegen oben ohne am Strand. Einige Einwanderer benötigen Hilfe bei der Anpassung, andere brauchen einfach jemanden, der sich um sie kümmert.
Zumindest war das die Art und Weise, wie Toby Ibañez es erklärte.
»Marokkaner, Algerier, Senegalesen, Nigerianer: Diese Menschen erleben nicht nur die Kompromisslosigkeit der einheimischen Bevölkerung, sie treiben auch orientierungslos in einer Kultur, die ihnen vollkommen fremd ist. Diese Leute sind verletzlich. Wenn sie ankommen, sprechen sie normalerweise kein Spanisch. Kriminelle Banden innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft setzen ihnen zu. Eine Organisation wie Shelter All ist der einzige Rettungsanker, den sie haben. Deshalb unser Motto: Shelter All – von den Menschen von Almería für die Menschen von Almería.«
Danny nickte, weil er sich seine Enttäuschung nicht anmerken lassen wollte. Es war nun schon das dritte Mal, dass Ibañez ihm dieses Motto vorbetete.
Wie Danny war auch Ibañez perfekt zweisprachig. Sein Spanisch wies eine leicht südamerikanische Färbung auf, aber die beiden Männer hatten vereinbart, Englisch zu sprechen, das bei Ibañez klang, als würde er aus dem Südosten Großbritanniens kommen. Danny wollte ihn mögen. Verdammt, Ibañez war doch einer der Guten, oder? Er half den Menschen. War engagiert. Uneigennützig. Aber er hatte etwas Undefinierbares an sich, das Danny abstieß. Vielleicht war es die salbungsvolle Art, wie er sprach, die Blasiertheit seiner Worte oder wie schnell die Augen hinter der Lennon-Brille feucht wurden. Er war zu erpicht darauf, gemocht zu werden.
Shelter Alls Büro befand sich in einer Gewerbeimmobilie in einer Ladenzeile in der Stadt Campo Hermoso, zwischen einem Bäcker und einer Eisenwarenhandlung. Es bestand aus vier Räumen: einem Empfangsbereich mit Postern von glücklichen afrikanischen Frauen in bunten Kleidern, einem großen Zimmer mit Kinderspielzeug und einem dritten mit Tischen und Stühlen, in dem Sprachkurse abgehalten wurden. Die Tür zum hinteren Zimmer war geschlossen. Ein Schild an der Tür bat: »Vor dem Eintreten bitte klopfen«. Dort werde die Telefonberatung abgehalten, erklärte Ibañez. »Egal, welcher Rasse, welchen Glaubens oder welcher Hautfarbe, hier findet man Zuflucht.«
»Daher der Name – Shelter.«
»Genau. Zuflucht eher im seelischen Sinn. Als ich die Leitung übernahm, überlegte ich, ihn zu ›Gimme Shelter‹ zu ändern, aber ich fürchte, ich bin ein ziemlicher Beatles-Fan«, erklärte Ibañez, während Danny eine Broschüre überflog. Das Bonmot war offensichtlich sein Partywitz. Danny rang sich ein Lächeln ab.
»Wie finanziert sich die Organisation?«
Nun wurde Ibañez ernst. »Na ja, das ist ein permanenter Kampf, wie man sich ja vorstellen kann. Zum Glück gehört dieses Haus uns, wir müssen also keine Miete bezahlen. Die meisten, die bei uns arbeiten, tun es unentgeltlich, auch wenn wir uns bemühen, jeden Monat etwas zu finden, um unseren Stammmitarbeitern ein wenig über die Runden zu helfen. Außerdem bekommen wir eine kleine Beihilfe von der Provinz.«
»Erzählen Sie mir von den Hotlines.«
»Nun, inzwischen sind sie vierundzwanzig Stunden besetzt. Wir verfügen über ein Team von sechs Freiwilligen, die an den Apparaten sitzen. Insgesamt sprechen sie sechs Sprachen.«
»Und all diese Sprachen sind vierundzwanzig Stunden am Tag verfügbar?«
Ibañez legte die Stirn in Falten. »Leider nicht. Das ist der Grund, warum Vielsprachige wie Allison – die jetzt gerade Dienst hat – so wichtig sind. Aber wir versuchen, immer jemanden hier zu haben, der Englisch, Spanisch und Französisch spricht.«
»Kann ich einen Ihrer Mitarbeiter in Aktion sehen?«
Ibañez klopfte an die geschlossene Tür des Zimmers im hinteren Teil des Gebäudes. Dort saß eine dunkelhaarige Frau am Telefon und redete auf Französisch. Sie schaute Danny mit intensiven, braunen Augen
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