Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
Oft mischten sich beliebige Erinnerungsschnipsel in seine Träume: Schnappschüsse aus seiner Kindheit und Jugend, von Leuten, die er gekannt, mit denen er gearbeitet, die er geliebt hatte. Aber wenn er einen Albtraum hatte, war es immer so, dieses sperrige Eindringen der Erinnerung in den Traum, die Stimme, undeutlich durch schlechten Empfang, die diese immer gleichen Worte in sein Handy sprach.
Danny. Ich muss reden.
Mann, hatte er nicht schon genug getan, um seine Schuld zu sühnen?
Er schnappte nach Luft, trank einen Schluck Wasser. Die Küchenuhr zeigte vier Uhr siebzehn an. Lucky reckte schläfrig den Kopf aus ihrem Körbchen und ließ ihn mit einem leichten Ausatmen wieder sinken. Offensichtlich war es noch zu früh für Hunde, doch Danny wusste aus Erfahrung, dass es nichts brachte, wenn er jetzt versuchte, wieder einzuschlafen.
Zuerst schrieb er seinen Artikel über die britischen Bewohner Almerías um. Die nächste Stunde verbrachte er damit, das gute Dutzend Kurzmeldungen zu redigieren – Artikel mit hundert Worten zu weniger wichtigen Themen –, die er jede Woche abliefern musste. Dann schaute er in seinen Terminkalender. Um neun Uhr hatte er ein Interview mit dem Leiter einer örtlichen Wohltätigkeitsorganisation – Shelter All. Er schaute sich die amateurhafte Website des Vereins an, machte sich einige Notizen zu Shelter All: Als gemeinnützige, nicht religiöse Organisation bot sie telefonische Beratung für Einwanderer in sechs Sprachen an. Doch er konnte sich nicht wirklich konzentrieren. Diese verdammte Dokumentenmappe, die Arthur Cooke ihm gegeben hatte, musste noch irgendwo im Haus sein, da gab es keinen Zweifel. Es war, als würde ein Essensrest am Gaumen kleben.
Weggeworfen hatte er sie auf keinen Fall. O Mann, diese Menge an Zeug, das er im Verlauf der Jahre gesammelt und aufgehoben hatte – Pressemappen, Handouts, Berichte, Broschüren –, er war schon fast ein Messie. Das behauptete zumindest seine Mutter, als sie den Zustand seines Bungalows sah. Er aß etwas, trank Kaffee und ging noch einmal die Schachteln in seinem Büro durch. Genau dort hatte sich die Mappe befunden, da war er sich ganz sicher, in den Schachteln, die er aus dem Zimmer seiner Mutter geholt hatte.
Und dorthin ging er jetzt, setzte sich auf das Bett seiner Mutter und versuchte nachzuvollziehen, wo die Schachteln gestanden hatten. Dann fiel es ihm ein. Er sah das verdammte Ding vor sich, ganz oben in der größten Schachtel, eine Ecke der blauen Mappe lugte heraus. Er suchte wieder sein Büro auf, fand die Schachtel.
Nichts.
Wohin, zum Teufel, war das Ding verschwunden? War es auf den Boden gefallen? Irgendwo dazwischengerutscht?
Danny hielt inne und knirschte mit den Zähnen, als ihm bewusst wurde, wo die Mappe war.
Danny hatte nur selten Übernachtungsgäste. Deshalb war das Bett im Zimmer seiner Mutter ein wackeliges, altes Ding. Doch eben hatte es sich keinen Millimeter bewegt, als er sich daraufsetzte. Er hob die herunterhängende Ecke der Tagesdecke an und sah die blaue Mappe unter dem hinteren Bein klemmen.
Als er das Ding herauszog, fluchte er laut auf Spanisch, was er immer tat, wenn er seinem Ärger Luft machen musste: Zum Fluchen gab es keine bessere Sprache als das Spanische.
Er blätterte die Unterlagen durch. Arthur Cooke hatte nicht übertrieben, als er sagte, er hätte jedes einzelne Dokument beigefügt: Es gab Hunderte Blatt Papier sowohl auf Spanisch als auch auf Englisch. Danny schaute auf die Uhr: 8.13. Er musste los.
Er legte die Dokumente in eine Schublade seines Schreibtisches, verschloss sie und füllte Luckys Schüsseln mit Wasser und Futter.
Als er zu seinem Auto ging, überlegte er, wie er seiner Mutter am besten beibrachte, dass sie sich eine andere Bleibe suchen müsse.
9
Dienstag, 30. März 2010
In der Provinz Almería leben ungefähr sechshundertsiebzigtausend Menschen. Nur achtzig Prozent davon sind Spanier.
Das andere Fünftel besteht aus einer großen, vielsprachigen Bevölkerung, die mit ihren spanischen Nachbarn unterschiedlich erfolgreich zusammenlebt. Im Gegensatz zu einigen Regionen Andalusiens, wo der Ausländeranteil vorwiegend aus britischen Rentnern besteht, kommt die Mehrheit der Einwanderer nach Almería, weil sie Arbeit sucht; zum großen Teil Marokkaner und Rumänen, aber wenn man genau hinschaut, findet man Menschen aus jeder Weltgegend – aus dem Senegal, Bolivien, Estland, China und Russland.
Abgesehen von ein paar unglücklichen Vorfällen,
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