Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
gegeben.«
Danny lächelte und wandte sich dann schnell um, damit sie die Tränen nicht sah, die ihm in die Augen stiegen.
Wenn er ihr nur glauben könnte.
2
Den Rest des Tages verbrachte er mit Ray Taylors Notizbüchern.
Danny wusste noch, dass Taylor besessen war von dem Vogelscheuchen-Prozess, aber es war ihm nicht bewusst gewesen, in welchem Ausmaß. Nach dem gelben Notizbuch zu urteilen hatte Taylor auch nach Ishmael Vertanness’ Verhaftung und Verurteilung weiterrecherchiert. Im Notizbuch gab es zahlreiche Vermerke zur Verwahrung des Mörders, zu Versuchen, mit dem für ihn verantwortlichen psychiatrischen Team in Kontakt zu kommen, und zu Nachforschungen in Vertanness’ biografischem Hintergrund.
Auf späteren Seiten seiner Notizen hatte Taylor seine Aufmerksamkeit einer anderen Mordserie zwischen 1998 und 1999 zugewandt: die Grenzland-Morde, so genannt, weil sie beiderseits der schottisch-englischen Grenze passiert waren. Danny erinnerte sich nur undeutlich an sie. Es gab verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Vertanness-Fall. Die Opfer waren männliche Prostituierte gewesen, deren Körper verstümmelt und deren Gesichter mit Make-up verschmiert waren. Der Mörder schlug dreimal zu und verschwand dann, nachdem ein Zeuge ihn am Tatort seines letzten Verbrechens gesehen und die Beschreibung für eine detaillierte Phantomzeichnung geliefert hatte. Die Polizei konnte ihn nie fassen. Da Ishmael Vertanness hinter Schloss und Riegel saß, wurden die Morde einem Nachahmungstäter zugeschrieben.
Zwei Namen wurden auf zahlreichen Seiten im gelben Notizbuch wiederholt, immer ausgeschrieben, immer eingekreist.
DOROTHY ???
ORSON ???
Danny blätterte die blauen Notizbücher durch. Während der eigentlichen Ermittlungen wurden die beiden Namen nirgends erwähnt. Hier ging es offensichtlich um etwas, das Taylor erst danach entdeckt hatte. Warum hatte er weitergebohrt? Vertanness hatte die Morde nie gestanden, aber die Beweislage gegen ihn war erdrückend. Serologen fanden in Blut, Sperma und Speichel an allen fünf Tatorten Spuren von ihm. Drei Zeugen benannten Vertanness bei Reihengegenüberstellungen als Fahrer des weißen Transporters, der bei zwei Tatorten erkannt worden war. Hatte Taylor geglaubt, Vertanness hätte irgendetwas mit den Grenzland-Morden zu tun?
Dorothy.
Orson.
Danny dachte über die beiden Namen nach. Die Mutter des zweiten Opfers hieß Dorothy Knowles, aber Taylor hatte ihren Namen in keiner Weise hervorgehoben. Für Orson kam ihm nur ein Name in den Sinn: Orson Welles. Die Notizen enthielten bis zum Ende keinen Hinweis auf die Bedeutung der Namen. Waren sie so etwas wie Codenamen? Auf einer Seite führten Pfeile von den Namen zu einer Kurzschriftnotiz: Kontakt. Aussagenprüfer/Vogelscheuche.
Taylor hatte also den Aussagenprüfer beim Vogelscheuchen-Prozess kontaktieren wollen. Der Begriff erinnerte ihn an etwas: Danny und Taylor hatten in einem Auto gegenüber dem Polizeirevier von Fleet gesessen und beobachtet, wie sich im Foyer die Art von Chaos entwickelte, die nur die Meute der landesweiten Medien produzieren konnte.
»Diese ganzen Wichser werden jetzt über den EM herfallen und rein gar nichts erfahren. Was meinst du, warum ist das so?«
»Weil ein Ermittlungsbeamter eine Untersuchung organisiert und leitet und deshalb bis über beide Ohren in Arbeit steckt.«
Taylor blies anerkennend einen Rauchkringel in die Luft: Danny hatte sich gemerkt, was die Abkürzung bedeutete. »Genau. Der EM entscheidet über die Richtung, in der die Ermittlung geht, entscheidet, welche Hinweise einer Weiterverfolgung wert sind, entscheidet, wo die Detectives beginnen sollen, an Türen zu klopfen. Aber alle Informationen, die reinkommen, gehen an eine Person: den Aussagenprüfer.«
»Wie durch ein Sieb in einen Abfluss.«
Es war das erste Mal gewesen, dass Danny Taylor lachen gehört hatte, ein trockenes, heiseres Geräusch irgendwo zwischen einem Keuchen und einem Husten. »Ja, so in etwa. Und genau mit dem werden wir beide sprechen. Sein Name ist …«
Genau an dieser Stelle knallte Dannys Erinnerung gegen die Wand. An alle Nebensächlichkeiten konnte er sich erinnern – die Uhrzeit, den kalten Wind, das Hupen und Schreien, während die TV -Übertragungswagen um die Parkplätze rangelten –, er konnte sogar noch das leise Prasseln des Regens auf dem Autodach hören. Nur der Name des Mannes fiel ihm nicht ein. Er blätterte in den Notizbüchern zurück. Der Name musste irgendwo stehen – aber
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