Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
noch nie Dannys Stärke gewesen war –, dann erzählte er ihr von seinem Leben und merkte, wie wenig er in den letzten acht Jahren getan hatte. Sie machte die üblichen Bemerkungen: Was für ein Glück er habe, in Spanien zu leben, aber besonders braun sei er nicht. Denise stand auf, um frischen Tee zuzubereiten. Danny stoppte sie.
»Hast du eigentlich die Notizbücher deines Vaters noch, Dee? Die von The Bugle ?«
Ihre Nasenflügel blähten sich kurz. Sie atmete zweimal tief durch und nickte dann. »Ich habe schon daran gedacht, sie wegzuwerfen. Aber was in denen steht, war sein Leben. Oben auf dem Dachboden befindet sich ein ganzer Karton davon. Du bist wahrscheinlich der Einzige, der was damit anfangen kann.«
Es handelte sich weniger um einen Dachboden als um einen niedrigen dreieckigen Hohlraum unter dem Spitzgiebel. Er steckte voller Gerümpel: ein Plastikchristbaum, ein Puppenhaus, Kleinkram, abgelegte Spielzeuge. Zum Glück stand der Karton ziemlich weit vorn.
Als Danny den Deckel öffnete, stieg ihm Ray Taylors Geruch in die Nase: schaler Zigarettenrauch, ein billiges, stechendes Rasierwasser.
Im Karton lagen Dutzende von Notizbüchern, alle gleich – DIN A5, Spiralbindung, blauer Umschlag –, alle methodisch beschriftet und datiert. Die Datumsangaben waren das Einzige, was ein ungeübtes Auge entziffern konnte; alles andere war in Rays spezieller Kurzschrift. Taylor, ein Reporter alter Schule, hatte Diktiergeräte abgelehnt. Sie waren damals noch Ungetüme – und für Journalisten, die nicht hundertzwanzig Wörter pro Minute mitschreiben konnten, hatte er nur Verachtung übrig.
Taylor hatte Danny an seinem ersten Tag eins dieser blauen Notizbücher zugeworfen. »Datum. Ganz oben auf die Seite. Jeden Tag. Unbedingt. Wenn du als Zeuge vor Gericht aussagen musst, sind die Dinger Beweismittel. Gibt schon genug Leute, wo denken, Journos sind Arschlöcher, muss’ du nich’ mit schlampige Notizbücher auftreten.«
Es hatte Danny immer fasziniert, wie jemand, der so stilsicher schrieb, das gesprochene Englisch so verstümmeln konnte. Vielleicht waren es die filterlosen Capstan, die permanent zwischen seinen Lippen klemmten: Die Wörter kamen in kurzen Atemstößen zwischen den Zügen, und dabei bewegte er ständig den Kopf, damit der Rauch ihm nicht in die Augen stieg.
Jetzt war Danny froh über diese Datierungen. Er ging die Notizbücher durch, bis er das fand, das sich mit dem ersten Vogelscheuchen-Mord befasste. Das Notizbuch war randvoll mit Informationen, ein Lehrbeispiel dafür, wie man eine große Mordgeschichte auf fünf oder sechs DIN - A 5-Seiten komprimieren konnte. Da standen Details aus Interviews mit Polizisten und Augenzeugen, eine vollständige Zusammenfassung der letzten Bewegungen des Opfers, die Kontaktdaten der Familie des Toten. Jeder Informationsschnipsel, den er sich, wie auch immer, verschafft hatte, war hier präzise festgehalten.
Unten in der Schachtel lag noch ein anderes Notizbuch, eins mit einem gelben Umschlag. Es hatte keine Datierungen oder, besser gesagt, es war voller Datumsangaben, aber nicht oben auf jeder Seite datiert. Als Danny die kurzschriftlichen Notizen überflog, erkannte er, dass sich das ganze Notizbuch nur mit dem Vogelscheuchen-Prozess befasste.
»Wie kommst du voran, Danny?«
Die Stimme ließ ihn hochschrecken. Denise stand unten, ihr Baby im Arm. Ob er noch Tee wolle?
»Gut, danke. Aber ich wollte dich um einen Gefallen bitten.«
Denise lächelte, wie Frauen es tun, wenn sie wissen, was ein Mann von ihnen will. »Nimm so viele, wie du möchtest, Danny. Du bist der Einzige, der was mit ihnen anfangen kann. Außerdem glaube ich, Dad hätte gewollt, dass du sie bekommst.«
Danny nahm sich alle Notizbücher aus der Zeitspanne des Vogelscheuchen-Prozesses und außerdem das mit dem gelben Umschlag. Dann stieg er vom Dachboden herunter. Unten wartete Denise, jetzt mit ernstem Gesicht. »Du fühlst dich doch nicht schuldig, oder, Danny?«
»Natürlich nicht. Warum sollte ich?« Danny spürte sein Gesicht erstarren, diese verquere neutrale Miene, die unvorbereitete Lügen immer provozieren.
»Ich dachte nur … na ja, nach dem, was du bei der Beerdigung gesagt hast. Über Dads Anruf. Und zwei Wochen später warst du dann verschwunden. Hast den Job hingeworfen und bist nach Spanien abgedüst.« Sie standen inzwischen an der Haustür. »Es war nicht deine Schuld, Danny. Du warst wie ein Sohn für ihn. Dad hätte dir nie die Schuld dran
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