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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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anderen. »Der Kopf ist wirklich sehr hübsch, aber warum ist es nur ein Kopf? Alle anderen haben doch ein vollständiges Artefakt bekommen!«
    Rufus fühlte ihre Worte wie einen kalten Wasserschwall in seinen Nacken treffen. Wütend sog er die Luft ein. Filine sollte den Mund halten, er wollte im Moment nur dieses Gesicht ansehen. Aber es war, als würde Filine genau das verhindern wollen.
    »Rufus!«, sagte sie schneidend. »Jetzt bin ich dran!« Sie drängte sich neben ihn an den Tresen und stieß ihm dabei den Ellbogen in die Seite.
    Erschrocken schnappte er nach Luft.
    »Ist was?«, fragte Coralia und beugte sich weit vor.
    »Was?«, Rufus riss sich zusammen. Er wandte den Kopf, und für eine Sekunde tauchten Filines grüne Augen vor ihm auf, die ihn warnend anfunkelten.
    »Äh, weißt du wirklich nicht, was das für ein Kopf ist, Coralia?«
    Coralia zuckte achtlos die Schultern. »Von irgendeiner Statue eben. Er fiel mir nur auf wegen seiner feinen Machart. Und um die Frage deiner Freundin zu beantworten: Das kann schon mal vorkommen, dass nur ein Kopf in der Akademie landet. Zum Beispiel, wenn der Rest der Figur schon gefunden wurde, dann tauchen manchmal die Überbleibsel in einer eigenen Flut auf. Alles Weitere musst du in seiner Flutgeschichte nachlesen. Aber ich glaube bestimmt, dass er eine Menge wert ist, so gut, wie er gearbeitet ist.«
    »Wert?«, stammelte Rufus.
    »Ja, wert! Mit dem Ding kannst du richtig was rausschlagen. Darum geht es doch.«
    »Klar! Danke, Coralia!« Rufus packte den Kopf, drückte ihn an seine Brust und ging damit zu No.
    Sofort trat Filine an den Tresen.
    »Du hast hier nicht zu entscheiden, wann ich wem sein Artefakt gebe und wie lange das dauert«, fuhr Coralia sie geringschätzig an.
    Die beiden Lehrlingsmädchen musterten sich. Für einen Moment wurde Coralias Gesicht rot vor Zorn, und in ihren Augen schien der weiße Kern heller zu glimmen. Filines Gesicht dagegen war blass wie immer, aber ihre Augen leuchteten ebenfalls hell.
    Dann lächelte Coralia plötzlich, und kurz darauf sah sie wieder aus wie immer: »Na gut, nun zu deinem Artefakt für den Flutmarkt.«
    »Ja, gerne«, antwortete Filine gelassen.
    Diesmal sah Coralia nicht in das Buch. Sie winkte den beiden Lehrlingen hinter sich. »Bent, Anselm, jetzt ist die Truhe dran!«
    »Ja, Coralia!« Die beiden Jungen marschierten zu einer schweren, eisenbeschlagenen Truhe, die zwischen zwei Regalen auf dem Boden stand.
    Coralia sah Filine an. »Das ist ein ganz besonderes Artefakt. Ich denke, ich werde es dir anvertrauen. Es sollte dir gefallen, Frischling.«
    Bent und Anselm hoben die Truhe ächzend in die Höhe. Sie war aus massivem Holz gefertigt und an der Oberseite mit einem mächtigen Schloss versehen, dass sich wie ein Gitter über den gesamten Deckel und Teile der Seiten erstreckte. Lächelnd reichte Coralia Filine einen großen Schlüssel.
    »Es scheint so eine Art Banksafe zu sein. Viel Spaß damit!«
    Bent und Anselm wuchteten die Truhe zu zweit und mit hochroten Köpfen auf den Tresen. Coralia nickte ihnen zu, und die beiden verzogen sich.
    »Am besten, du nimmst das Ding gleich mit«, erklärte sie Filine. »Du weißt ja, bis zur Übergabe an deinen Händler steht es unter deiner Aufsicht.«
    »Ich weiß«, sagte Filine.
    Sie drehte sich zu Rufus und No um. »Würdet ihr mir bitte helfen, die Kiste hier wegzutragen?«
    No sah Filine und Coralia entgeistert an. » Das Ding?«
    »Ja!« Filine warf No einen flammenden Blick zu.
    »Äh, ja, klar … Okay!« No nickte. Er trat an die Truhe heran und entdeckte, dass sie an jeder Seite Tragegriffe hatte. Dann nahm er einen Griff in die Hand. »Rufus, komm schon! Alleine schaffe ich das nicht.«
    Rufus hatte die ganze Zeit nur den Kopf in seinen Händen angesehen. Hatte Coralia gewusst, dass er wie seine Mutter aussah? Nein, das konnte sie nicht. Sie hatte ihm den Kopf gegeben, weil sie ihn für wertvoll hielt. Und dennoch schien ihm die Akademie in diesem Moment wieder ein Ort zu sein, der auf seine Fragen antwortete. Filine trat zu ihn.
    »Rufus«, sagte sie leise. »Ich dachte, Coralia muss nicht unbedingt rausfinden, was du außer deinem Fragment noch im Beutel trägst. Und du hast gewirkt, als würdest du dich gleich verplappern. Könntest du jetzt bitte No helfen? Ich nehme solange den Kopf, okay?«
    Rufus sah auf. Jetzt wurde ihm klar, warum Filine sich so merkwürdig verhalten hatte. Sie hatte gefürchtet, er würde Coralia verraten, dass er die Locke seiner

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