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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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unverständlich. Es begann noch ganz logisch mit der Frage, ob die Menschen je mit Tieren hatten sprechen können, und der Autor sammelte dazu alle Beweise oder Hinweise, die er hatte auftreiben können. Er erwähnte den heiligen Franz von Assisi, der mindestens mit Vögeln und einem Löwen gesprochen hatte, und führte die Bibel an, in der es im Buch Hiob hieß, auch Reptilien und Fische könnten zu den Menschen sprechen.
    Doch dann brachen die Studien über Tiersprachen unvermittelt ab, und ihnen folgten ziemlich wirre Geschichten, die dazu auch noch lückenhaft erzählt wurden. Da waren Abschnitte über eine Traumsprache, die Nikolai Zeitschneider erlebt haben wollte, unterbrochen von einer Liste mit Tieren. Zwischendurch waren plötzlich seltsame Artefakte beschrieben. Dann kamen fremde Sprachen und Menschen, und einige Sätze waren einfache Reisebeschreibungen durch Länder in unterschiedlichen Jahrhunderten.
    Das ganze Buch wirkte wie ein verrückter Traum.
    Und vielleicht hatte Nikolai Zeitschneider ja wirklich nur davon geträumt, mit Tieren sprechen zu können.
    Rufus überlegte. Was hatte dieses Buch mit ihm zu tun? Zuerst einmal hatte Minster es ihm geben wollen. Und jetzt auch noch Coralia. Darüber hinaus waren Nikolai Zeitschneider und er beide Lehrlinge der Akademie. Wenn auch in einem Abstand von vielen Jahren. Dann kamen die Träume. Rufus hatte zweimal von einem eindeutig historischen Wald geträumt. Aber Tiersprachen hatten darin keine Rolle gespielt. Und Coralia hatte ihn gefragt, ob er von vergangenen Ereignissen träumen würde. Was aber hatte eine Flut in einem Traum, selbst wenn es so was geben sollte, mit Tiersprachen zu tun?
    Rufus brachte das nicht zusammen. Immer, wenn Nikolai Zeitschneider von seinen Träumen schrieb, klang es, als gehörten sie irgendwie mit seiner Suche nach den Tiersprachen zusammen. Aber genau das konnte Rufus nicht verstehen. Nikolai Zeitschneider schrieb zum Beispiel an einer Stelle, dass er Tiere im Traum gehört habe, die ihm dabei halfen, die Träume wahr werden zu lassen. Und das war doch ziemlich verrückt, wie Rufus sich eingestand.
     
    »Rufus! Da bist du ja!«
    Coralias Zimmer lag hinter einem kleinen Saal voller Goldfragmente, genau, wie sie es beschrieben hatte. »Komm rein! Ich freue mich, dass du hier bist.«
    Sie hielt ihm die Tür auf, und Rufus trat ein.
    Das Zimmer war größer als sein eigenes, und eigentlich war es nicht nur ein Zimmer, sondern eine kleine Wohnung. Denn aus dem ersten Raum führte ein Durchbruch in einen weiteren, in dem Rufus ein schwarzes Bett ausmachen konnte. Schnell wandte er den Blick davon ab. Mitten im Zimmer standen sich zwei massige Ledersessel gegenüber. Dahinter führten drei hohe Fenster auf einen schattigen Innenhof, in dem hohe Pappeln wuchsen.
    Coralia schloss die Tür hinter ihm und ließ sich in einen der beiden dunkelbraunen Sessel fallen.
    »Na, Rufus. Was treibt dich zu mir? Das da«, sie zeigte auf das Buch, das Rufus an sich drückte, »oder mein Angebot?«
    »Nein«, Rufus schüttelte den Kopf. »Ich will nicht in eine Flut mit dir, ich …«
    »Schade«, unterbrach ihn Coralia. »Ich kann dir eine Menge zeigen. Nicht hier natürlich, denn hier schlafe ich nur und denke nach. Aber in meinem Arbeitszimmer habe ich viele interessante Sachen und Möglichkeiten.«
    »Du hast noch ein Zimmer?«
    »Ja, warum nicht? Es gibt so viele Räume hier, da habe ich mir noch ein extra Zimmer zum Arbeiten eingerichtet. Es ist ziemlich abgelegen. Wenn ich da nicht gefunden werden will, dann findet mich dort auch niemand. Willst du einen Tee?«
    Rufus nickte.
    Coralia stand auf und goss aus einer dunkelblauen Kanne zwei zarte chinesische Porzellantassen voll. Sie reichte Rufus eine und setzte sich dann selbst wieder hin. »Und warum bist du hergekommen?«
    »Ich habe eine Frage.«
    »Ja, klar«, sagte Coralia. »Also wegen dieses Buches. Es gehört übrigens zum Bereich Unsicherheiten und Halbwahrheiten. Wie hast du es denn zuerst entdeckt?«
    Minster hat es mir gebracht, wollte Rufus sagen. Doch dann wurde ihm klar, dass er das vielleicht besser verschweigen sollte.
    »Beim Rumstöbern.«
    Coralia lachte auf. »Da bist du ja schon in die dunkelsten Ecken der Bibliothek vorgedrungen. So schnell wie du bin ich da nicht gelandet.«
    »Wie hast du es denn gefunden?«
    Coralia trommelte auf die Armlehne ihres Sessels. »Willst du dich nicht setzen?«
    Rufus merkte erst jetzt, dass er immer noch stand.
    »Ja«, sagte er und ließ

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