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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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Bast als Haar, mit dicker Farbe verzierte Holzschalengesichter und Kokosnusshälften mit dunklen Löchern über einem Knochen als Nase, aus denen einen das Nichts anstarrte. Und es schien auf den ersten Blick ziemlich schwer, darunter eine mit einem bestimmten Muster auszumachen. Zumal Meister Günter gesagt hatte, dass es keine originalen Fundstücke aus der Zeit, die sie vielleicht suchten, geben sollte.
    Die drei Lehrlinge setzten sich in eine Ecke.
    »Sollen wir es auf Papier versuchen oder gleich auf einem Gesicht?«, fragte No.
    »Gleich auf einem Gesicht«, schlug Rufus vor. »Und zwar ich auf deinem und du auf meinem. Obwohl ich mich eigentlich gar nicht erinnern kann.«
    No grinste. »Okay. Du versuchst es aber trotzdem. Vielleicht fällt dir ja beim Malen noch was ein.«
    Rufus nickte. Die beiden wandten sich einander zu und beugten ihre Gesichter vor. Dann machten sie sich daran, die Muster, an die sie sich erinnern konnten oder nach denen sie in ihrer Erinnerung suchten, in das Gesicht des anderen zu malen.
    »Es war irgendwie verschlungen«, sagte No. »Und dabei an die Gesichtsform angepasst.«
    Er versuchte, eine Art Kette aus ineinandergreifenden Pflanzenformen auf Rufus Wangen zu malen. »Aber da waren auch noch so Tiergestalten dabei«, meinte er. »Und die Muster waren geflochten!«
    »Geflochten?«, fragte Filine. »Du meinst, so wie Zöpfe?«
    »Nein, mehr wie Matten aus ganz dicken Bändern oder … na ja … Muster eben«, brummte No und malte zwei breite Farbbahnen, die abwechselnd über- und untereinander herliefen. Aber die Farbe verschwamm auf Rufus’ Haut, und übrig blieben zwei blaue Streifen, die man nur mit großer Liebe noch als Flechtwerk bezeichnen konnte.
    Filine lachte auf. »Hatten deine Mädchen etwa blaue Bandnudeln im Gesicht?«
    »Mann!«, schimpfte No. »Versuch du das doch mal, das ist echt hammerschwer. Und die Tierköpfe schaffe ich sowieso nicht. Dazu muss man erst Kunst studiert haben.« Er sah Rufus fragend an, der schweigend mit seinem Pinsel auf Nos Wangen zugange war. »Schaffst du das?«
    »Es ist wirklich nicht leicht, vor allem, wenn du nicht stillhältst«, sagte Rufus ruhig. Er versuchte, das von No beschriebene Muster nachzumalen, in der Hoffnung, dabei auf etwas zu stoßen, das ihm bekannt vorkam.
    »Ich glaube, ich kann es hinbekommen, aber nicht gleich in Farbe. Ich muss das zuerst mit Bleistift auf Papier machen. Und die Zeichnung dauert ein paar Stunden. Das sind nämlich richtig komplizierte Muster, die du da beschreibst.«
    Er drehte sich weg und zog einen der Zeichenblöcke zu sich heran.
    »Ich werde es mal probieren.«
    »Und wenn wir es zusammen doch erst bei Filine versuchen?«, schlug No vor. »Vielleicht ist es einfacher, wenn wir es zu zweit machen? Ich sage es an, und du malst es, Rufus.«
    Filine stöhnte auf. »Ich habe befürchtet, dass ihr auf diese Idee kommt. Aber wenn es sein muss …«
    Rufus kicherte. Er ließ den Blick über die vielen Masken an den Wänden schweifen. »Und dann müssen wir noch dein Gesicht mit all diesen Masken abgleichen, um festzustellen, ob es irgendwas Ähnliches gibt. Das kann Tage dauern.«
    No sah auf sein blaues Geschmiere in Rufus Gesicht. »Ja, das ist leider wahr«, brummte er. »Aber mit dem, was ich da bei dir angerichtet habe, geht das nicht.«
    Rufus sah No und Filine nacheinander an. Er holte tief Luft. Dann erklärte er entschlossen: »Ich habe es vorhin nicht gesagt. Aber ich habe sie in meinem Traum sprechen hören. Und ich kann es euch vormachen.«
    »Was?« No ließ den Pinsel fallen. »Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?«
    »Ich wollte mich nicht vordrängeln oder deinen Forschungsweg bestimmen«, erklärte Rufus. »Du bist diesem Traum gegenüber sowieso schon so skeptisch. Ich wollte keinen Streit. Aber ich habe die Worte von der Frau gehört, und ich könnte sie wiederholen.«
    No schwieg. »Von welcher Frau?«, sagte er dann.
    »Ich denke, es war die Mutter der beiden.«
    »Ah«, sagte No betreten. »Du hast auch ihre Mutter gesehen.«
    Rufus nickte.
    »Und, war da noch mehr?«
    »Ein Mann«, sagte Rufus. »Und eine Weide auf einer Lichtung im Wald.«
    No schluckte. »Du hast so viel mehr gesehen als ich?«
    »Ja«, antworte Rufus. »Aber nur im Traum.«
    No betrachtete ausgiebig die Holzdecke. Filine und Rufus sahen ihm schweigend zu.
    »Okay«, sagte er dann plötzlich. »Wenn du sie wirklich gehört hast und wenn uns das jetzt weiterbringt, dann musst du ja auch wirklich von

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