Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
verstanden hatten, egal, dass Bendlin diesen Job nur bekommen hatte, weil Gritz nicht mehr lebte. Maler spürte die Wut bei Bendlin, die zum Polizistsein gehörte wie die schlechte Bezahlung, die Nachtschichten und die Klagen über irgendwelche bescheuerten Richter: Wehe, wenn einem Kollegen etwas passierte. Sofort stellte sich jeder vor, dass es auch ihn hätte treffen können. Wir kriegen das Schwein, das das gemacht hat. Das war Polizistencode.
Mordfall Gabriel Tretjak. So hatte es Gritz auf seinen Reiseantrag geschrieben. Eigentlich hätte er Mord fälle Gabriel Tretjak schreiben können, dachte Maler. Es war ja damals schon klar gewesen, dass der merkwürdige Mähdrescherunfall kein Unfall gewesen sein konnte. Dann kam der Mord in Buenos Aires hinzu. Mord fälle Gabriel Tretjak. Dreimal Tretjak, einmal Gritz. Es ging um eine Mordserie. Und vermutlich hatte Rainer sterben müssen, dachte Maler, weil er auf eine Spur gestoßen war.
Gabriel Tretjak, der echte Gabriel Tretjak. August Maler spürte sofort wieder diesen Zorn. Seit drei Tagen versuchte er ihn zu erreichen. Mailbox. Immer nur Mailbox. Kein Rückruf, keine Antwort, kein sonstiges Zeichen. Sie hatten bei ihrem Gespräch ausgemacht, sich regelmäßig auszutauschen über das, was sie in Erfahrung brachten. Und jetzt völliges Schweigen, seit drei Tagen. Was sollte das? Die Winkelzüge dieses Mannes. Hatte er nicht kapiert, dass sie diesmal nur nervten? Was spielte er dieses Mal für ein Spiel? Und was für eine Rolle hatte Tretjak für ihn dabei vorgesehen? Es war sicher keine Hauptrolle. August Maler wurde fast übel vor Zorn. Was er brauchte, war ein Partner, jemand, dem man vertrauen konnte. Und nichts klang absurder im Zusammenhang mit diesem Mann als das Wort Vertrauen.
Die Spielchen des Reglers. Tretjak hatte ihm am Ende des Telefonats gesagt, er werde ihm eine SMS schicken, mit einem speziellen Codewort, einer komplizierten Kombination aus Buchstaben und Zahlen. Sollte er sich 24 Stunden nicht melden, solle er, Maler, dieses Codewort an eine bestimmte Mailadresse schicken. Es sei nur eine Vorsichtsmaßnahme, für alle Fälle, hatte Tretjak gesagt. Maler hatte nicht die Kraft gehabt, irgendetwas dazu zu sagen. Die SMS war einige Minuten später tatsächlich gekommen. Er hatte das Codewort auf seinem Handy gespeichert. Aber er hatte es nicht losgeschickt, und er würde es auch ganz sicher nicht tun. Wer wusste, was dieses Codewort auslöste? Möglicherweise würde er damit selbst Teil eines perfiden Plans werden. Möglicherweise müsste er sich später fragen lassen, warum er bei alldem mitgemacht hatte, warum er zum Mittäter geworden war. Maler ärgerte sich: Für wie dämlich hielt ihn dieser Mann eigentlich? Nein, Herr Tretjak, die Schachfigur Maler spielt jetzt nicht mehr mit.
Mit Bendlin vereinbarte er am Ende ihres Gesprächs, dass Gabriel Tretjak erneut zur Fahndung ausgeschrieben werden sollte, weltweit, wegen Mordverdachts. Maler steckte sich noch drei Plätzchen in die Jackentasche, damit Marianne Gebauer nicht glaubte, sie hätten fast gar nichts gegessen. Er gab Bendlin zum Abschied die Hand. Es war klar, dass sie ab jetzt in regelmäßigem Kontakt bleiben würden. Marianne Gebauer nahm er kurz in den Arm, »großartig, deine Kekse, Marianne, ganz wunderbar«.
Draußen vor der Bürotür wartete Harry Mutt auf ihn. Ein netter Kollege, guter Mann, einer der Besten. Erste besondere Eigenschaft: Er hatte immer Geldprobleme, weil er auf die Pferderennbahn ging und eigentlich immer verlor. Zweite besondere Eigenschaft: Er sprach nie ein Wort zu viel. Maler gefiel das.
»Hallo, Harry.«
»Hallo, August.«
Maler sagte nicht, ›Schön, dich zu sehen‹. Mutt sagte es auch nicht.
»August, ich habe was für dich. Ich möchte, dass du das nimmst.« Mutt zog ein schwarzes Büchlein aus seinem Jackett und gab es ihm. »Ich will, dass du es hast.«
Maler blickte ihn fragend an.
»Rainer hat Tagebuch geführt. Es lag neben seinem Bett.« Mutt machte eine Handbewegung in Richtung des Büros von Bendlin. »Ich will nicht, dass er da drin rumblättert.«
»Gut«, sagte Maler und steckte das Buch ein.
Inge wartete im Café Tambosi am Hofgarten. Sie liebte dieses Café, und Maler liebte den Hofgarten. Da, wo München am schönsten ist, so nannte er den kleinen Park. Sie hatte sich einen schönen Tisch im ersten Stock ausgesucht, mit zwei weichen Plüschsesseln. Inge stand auf, als er kam. Das tat sie sonst nie. Es wirkte ja auch ein
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