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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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beherrschten Fettpflanzen, die wie verklebte Teigtaschen aussahen, nur dass sie grün und stachelig waren. Als Miki Matilda sich meldete, sagte Clemencia: «Und wenn du noch zehnmal fragst, mein Zimmer bekommst du nicht! Wir haben eine Vereinbarung getroffen und …»
    «Es geht um Melvin.»
    «Was?»
    «Die Polizei hat deinen Bruder eingesperrt.»
    Verdammt! Clemencia hatte es kommen sehen. Schritt für Schritt war Melvin abgedriftet. Und sie hatte nichts dagegen getan.
    «Was hat er angestellt?»
    Schwere Körperverletzung, hatten die Beamten gesagt. Offensichtlich hatte Melvin in der Kneipe jemanden zusammengeschlagen. Genaueres wusste Miki Matilda nicht.
    «Du holst ihn doch da heraus, Clemencia, oder?»
    Die Erwartung, dass Clemencia jetzt endlich mal ihre Position bei der Polizei sinnvoll nützen würde, war nicht zu überhören, aber auch ein leiser Vorwurf schwang in Matildas Worten mit. Zumindest ein Unverständnis darüber, wie Clemencia sich Kollegen aussuchen konnte, die fähig waren, ihren leiblichen Bruder zu verhaften.
    Clemencia wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie schaute auf die Euphorbien hinab. Zwischen den Teigtaschenpflanzen wuchsen andere, die wie Schweinsohren aussahen. Dahinter stand ein halbhoher Köcherbaum, dessen Rinde an einigen Stellen abfaserte.
    «Melvin sitzt in einer Arrestzelle. Hier auf der Polizeiwache in Katutura», sagte Miki Matilda.
    «Okay», sagte Clemencia. Dem Ex-Richter teilte sie mit, dass sie leider zurückmüsse. Sie würde das Gespräch mit ihm aber gern baldmöglichst fortsetzen. Da Fourie sowieso am nächsten Tag nach Windhoek wollte, verabredeten sie sich in einem Straßencafé am Beginn der Post Street Mall.
    Als Clemencia zu ihrem Wagen ging, stand der barfüßige Junge vor der Fahrertür. Er fragte: «Könnte ich bitte ein Stück mitfahren, Ma’am? Und Sie schalten Blaulicht und Sirene ein?»
     
    Donkerkop:
    Die Nacht, in der Lubowski starb, veränderte alles. Von Politik wollte ich nichts mehr wissen, die Kreise, in denen ich mich bewegt hatte, mied ich. Es war, als müsste ich mein ganzes vorheriges Leben auslöschen, weil es mir nicht gelang, die Bilder dieser Nacht zu vergessen. Fast zwei Jahrzehnte lang wachte ich immer wieder schweißgebadet auf, hörte durchs Dunkel meines Zimmers den Nachhall der Schüsse von damals. Und auch wenn ich sofort wusste, dass es nur ein Albtraum war und dass alles lange vorbei war, konnte ich nicht anders, als das Licht einzuschalten und nachzusehen, ob Blut an meinen Händen klebte. Mich der Polizei zu stellen, daran habe ich trotzdem nie ernsthaft gedacht. Wem hätte das genützt? Lubowski wäre nicht wieder lebendig geworden, und was ich getan hatte, war auch nicht mehr rückgängig zu machen.
    Herr Gott, ich war damals zweiundzwanzig Jahre alt, ich hatte schnelle Autos im Kopf und sonst nicht viel, ein paar halbfertige Gedanken und jede Menge dumpfe Wut. Ich kannte nichts anderes. Meine Freunde, ihre Eltern und deren Bekannte, sie alle sagten, dass nur eins schlimmer sei als die Kaffern, die das Land zugrunde richten würden. Und das seien die Weißen, die ihnen dabei halfen. Denn die müssten es besser wissen. Was sei denn hier gewesen, bevor die ersten Weißen die Ärmel aufgekrempelt hätten? Keine Schule, kein Krankenhaus, keine Eisenbahn, keine Straße, kein elektrischer Strom, nicht mal ein gemauertes Haus. Nur Ziegen und Rinder und ein paar Eingeborenenstämme, die sich – wenn nicht bei jeder Dürre die Hälfte ihrer Leute von selbst wegstarb – mit Vorliebe gegenseitig die Schädel einschlugen. Zu solchen Zuständen könne doch niemand ernsthaft zurückwollen. Schon gar kein Weißer.
    Nur die dümmsten Kälber suchen sich ihre Metzger selber, so klangen die Sprüche, die bei uns kursierten. Doch dass Lubowski nicht dumm war, konnte keiner übersehen, und das machte die Sache noch schlimmer. Er war mehr als ein Nestbeschmutzer, der sich vor Angst in die Hosen machte. Er wusste, was er tat. Er war ein Verräter, ein Deserteur. Damit war das Urteil im Grunde gesprochen. Keine Armee der Welt kann zulassen, dass ihre Leute zum Feind überlaufen.
    Was mich persönlich am meisten an ihm aufregte, war die Arroganz, mit der er daherredete. Als habe er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wie er sich in seinem schnieken Anzug hinstellte und über die dumpfen Buren lustig machte, die keinen Mut für notwendige Veränderungen fänden! Einmal – ich weiß nicht mehr, bei welcher Veranstaltung – sprach er über die

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