Die Stunde des Schakals (German Edition)
wie Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde ging er völlig auf und scherte sich keinen Deut darum, dass diese im luftleeren Raum wohlfeil waren. Es drehte sich aber darum, sie in einer Welt durchzusetzen, die schon da war und auf ganz anderen Grundlagen beruhte. Dazu waren faule Kompromisse genauso nötig wie schmutzige Tricks und brutales Durchgreifen. Dass der Weg dem Ziel entsprechen müsse, kann nur einer sagen, der von Politik keine Ahnung hat, ganz zu schweigen vom Unabhängigkeitskampf einer Nation.
Wir wussten, was wir taten, als wir Guerillakommandos über die angolanische Grenze nach Nordnamibia befahlen, um dort südafrikanische Stellungen anzugreifen. Militärisch war das bedeutungslos. Wir schickten unsere eigenen Leute in den fast sicheren Tod, nur um zu zeigen, dass wir existierten. Dass wir eine Macht waren. Letztlich starben unsere Männer, damit die SWAPO wieder einmal in der Weltpresse erwähnt wurde. Manche mögen das zynisch nennen, aber es war verdammt notwendig.
Wenn Lubowski interviewt wurde – und das geschah in seinen letzten Jahren dauernd – , rechtfertigte er den bewaffneten Kampf durchaus, doch man spürte in jedem seiner Worte, dass ihm das Thema unangenehm war und er nur den Genossen nicht in den Rücken fallen wollte. Dabei war er sehr wohl ein Kämpfer, aber eben auf seine Art. Ich erinnere mich, wie er mir eines Abends von einem deutschen Theaterstück erzählte, in dem einer die Bibel übersetzen will und sich nicht entscheiden kann, wie er den ersten Satz formulieren soll: Am Anfang war das Wort, der Sinn, die Kraft, die Tat? Ich weiß nicht mehr, welche Variante Lubowski bevorzugte, wahrscheinlich die mit dem Wort, aber bezeichnend ist schon, dass es ihm überhaupt wichtig war, was am Anfang stand. Uns interessierte einzig, was am Ende herauskam.
Einmal, nach einem Scharmützel am Kunene-Ufer, frisierten wir die Opferzahlen für die Presseerklärung. Wir hatten die Meldung, dass wahrscheinlich ein oder zwei südafrikanische Soldaten getroffen worden waren, und machten daraus vier getötete und elf verwundete Feinde. Dafür korrigierten wir unsere eigenen Verluste entsprechend nach unten. Lubowski fragte, ob das wirklich nötig wäre.
Ich glaube, er war ernsthaft der Meinung, man könne sich an die Wahrheit halten, wenn man nur auf der richtigen Seite stehe. Und unter Wahrheit verstand er Fakten, Zahlen, Gegebenheiten, Kausalzusammenhänge. Wir haben damals nicht darüber diskutiert, doch für mich war klar, dass diese Art von Wahrheit nur Material sein konnte. Man musste es darauf abklopfen, ob es der höheren Wahrheit diente, die es zu verwirklichen galt. Wir waren schließlich dabei, Geschichte zu schreiben. Geschichte ist aber nicht gleichbedeutend mit allem, was geschehen ist. Sie ist immer auf Auswahl, Interpretation, Wertung angewiesen, damit sie überhaupt erzählbar wird. Und was nicht erzählt werden kann, ist keine Geschichte, ist eigentlich gar nicht geschehen.
Jedenfalls, Lubowski hat in der Politik mitgemischt, ohne ein Politiker zu sein. Deswegen wäre er früher oder später sowieso unter die Räder gekommen, und ich glaube, eher früher als später. Ich bin weit davon entfernt, seine Verdienste zu schmälern. Er holte eine beträchtliche Anzahl Genossen aus dem Knast – mich eingeschlossen – , er konnte überzeugen, er konnte organisieren, er trieb als stellvertretender Wahlkampfleiter jede Menge Geld für uns auf, er verschaffte uns Aufmerksamkeit und Sympathien weit über Namibia hinaus. Selbst durch seinen Tod hat er unserer Sache noch genützt, das gebe ich unumwunden zu. Dafür schäme ich mich auch nicht. Und obwohl es unverzeihlich bleibt, einen Menschen gewaltsam aus dem Leben zu reißen, denke ich manchmal, dass Anton Lubowski zur rechten Zeit gestorben ist. Vielleicht war es seine Bestimmung, als letzter prominenter Märtyrer sein Blut für die Unabhängigkeit zu vergießen.
3
GRENZEN
Robinson brüllte, dass er genug Zeit habe. Mehr als genug sogar. In der Zeit, die er habe, könnte der Herr theoretisch auf allen vieren nach Angola und wieder zurück kriechen. Aber nur theoretisch, denn bevor er nicht endlich das Maul aufmache, würde er nirgendwohin gehen oder kriechen oder sonst etwas. Ob er das kapiert habe?
Gehört hatte es der Verdächtige zweifelsohne, denn Robinson schrie so laut, dass selbst auf dem Gang jedes Wort klar und deutlich zu verstehen war. Clemencia machte die Tür zum Verhörraum auf. Robinson stand vornübergebeugt.
Weitere Kostenlose Bücher