Die Stunde des Schakals (German Edition)
Mit den Fingerknöcheln stützte er sich auf der Schreibtischplatte ab. Der Angolaner war noch etwas tiefer in seinen Plastikstuhl hineingerutscht. Es sah aus, als würde er irgendwann darin verschwinden.
Clemencia warf Robinson einen warnenden Blick zu. Robinson hob die Fäuste vom Schreibtisch und zeigte die Handflächen in einer Geste, die bedeuten sollte: Ich doch nicht! Er grinste, setzte sich, schlug ein Bein übers andere und sagte in ganz normaler Lautstärke: «Ich habe genug Zeit.»
Clemencia schloss die Tür und ging weiter zu ihrem Zimmer. An der Wand gegenüber lehnte Claus Tiedtke. Er lächelte und sagte mit einer Spur Verlegenheit, dass er anzurufen versucht habe, aber Clemencias Handy ausgeschaltet sei.
«Wie war das Konzert im Blitzkrieg ?», fragte Clemencia.
Tiedtke zuckte die Achseln. «Allein hatte ich auch keine Lust hinzugehen.»
Clemencia war sich sicher, dass Miki Selma das sehr begrüßt hätte. Vor Männern, die sich allein in Kneipen herumtrieben, musste man sich in Acht nehmen. Sehr erfreulich, dass Claus Tiedtke anders war, auch wenn er so anders dann doch wieder nicht hätte sein müssen. Auch unter den Damara-Männern gab es schließlich anständige Kerle. Aber bitte, Clemencias Wahl sei nun mal auf ihn gefallen, und das respektiere man natürlich. Dummerweise wusste der arme Claus Tiedtke noch gar nicht, dass er als ihr Zukünftiger auserkoren war und dass Miki Selma mit ihrer Chorbande wahrscheinlich gerade dabei war, einen geeigneten Trauzeugen für ihn auszusuchen.
Clemencia musste bei dem Gedanken gelächelt haben. Das jedenfalls schloss sie aus Claus Tiedtkes zufriedener Miene. Damit er sich nicht einbildete, das Lächeln habe ihm gegolten, stieß sie die Tür zu ihrem Zimmer auf und fragte über die Schulter, ob er eigentlich in seiner Redaktion nichts zu tun habe.
«Außergewöhnliches hat eben Vorrang», sagte er. Dann gebe es halt mal ein paar aktuelle Texte weniger, und man fülle die Zeitungsseiten mit großformatigen Regenbildern, die von den Lesern zu Hunderten eingeschickt würden. Leserbindung sei ja ganz wichtig. Wenn es – wie jetzt – nicht regnete, täten es auch ein paar nette Urlaubsfotos aus Swakopmund. Morgen zum Beispiel könne Clemencia zwei herrliche Sonnenuntergänge bewundern, einen über der Jetty, den anderen mit hüpfenden Kindern am Langstrand, und dazu noch …
«Welcher außergewöhnliche Umstand führt Sie denn zu mir?», fragte Clemencia.
«In erster Linie natürlich der unvergessliche Eindruck, den Sie bei mir hinterlassen haben …»
«Und der selbstredend Vorrang vor der Information der Öffentlichkeit hat», ergänzte Clemencia.
«Unbedingt.» Tiedtke grinste. «Aber im Ernst, es ist wegen Donald Acheson.»
«Das haben wir abgeklärt», sagte Clemencia. Sie hatte keine Ahnung, was bei Tjikundus Überprüfung letztlich herausgekommen war. Es war einfach zu viel passiert.
«Ich habe den Zeugen ausfindig gemacht, der Acheson gesehen haben will», sagte Tiedtke.
«Ja?» Clemencia forderte ihn mit einer Handbewegung auf einzutreten. Tiedtke legte seine Hand auf ihren Rücken und schob sie ins Zimmer. Miki Matilda hätte das mit Wohlwollen gesehen. Ein Mann war ein Mann und kein Waschlappen. Der musste auch mal richtig rangehen können. Andererseits, hätte Miki Matilda wahrscheinlich gesagt, ob einer so zupacken könne, wie es einer Frau gefalle, erweise sich nicht zwischen Tür und Angel, sondern ganz woanders. Clemencia grinste.
Sie grinste nicht mehr, als Claus Tiedtke mit seiner Geschichte herausrückte. Er hatte den Zeugen lang und breit ausgefragt. Der hatte Anfang 1990 ein paar Wochen zusammen mit Acheson in Untersuchungshaft gesessen, was zwar nicht unbedingt für seine Glaubwürdigkeit sprach, aber immerhin erklärte, dass er Acheson nach fast zwanzig Jahren wiederzuerkennen glaubte.
«Wieso?», fragte Clemencia.
«Der Mann hatte Angst vor Acheson, er hat ihn in der Zelle Tag und Nacht nicht aus den Augen gelassen. Achesons Bewegungen, sein Gang, seine Mimik haben sich in sein Gedächtnis eingebrannt.»
«Weiter!», sagte Clemencia.
Der Zeuge hatte sich an das genaue Datum seiner Begegnung mit Acheson erinnert, und Tiedtke war zu Rosenthal Guns gefahren. Er hatte den Juniorchef – einen alten Schulkameraden von der Deutschen Höheren Privatschule – überredet, ihn in die Listen schauen zu lassen, und notiert, wer am fraglichen Tag Munition gekauft hatte. Die Namen hatte er in der Zentralkartei der Polizei mit den
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