Die Stunde des Schakals (German Edition)
Gobabis erreicht hätten, wäre Acheson schon über die Grenze nach Botswana abgehauen.
Nein, Clemencia musste den Mann selbst einkassieren und nach Windhoek bringen. Sie würde auch ihre Leute nicht einweihen, sonst könnte sie gleich bei Oshivelo vorsprechen. Der Einzige, den sie für verschwiegen genug hielt, war Angula. Sie trat auf den Flur hinaus und ging zwei Zimmer weiter. Angula hatte einen Teil der Lubowski-Akten inzwischen auf den Flur ausgelagert. Keineswegs seien die unwichtig, nur im Moment vielleicht etwas weniger wichtig. Er brauche jedenfalls im Zimmer mehr Platz, um den Überblick zu bewahren.
Das schien tatsächlich ein Problem darzustellen. Drinnen waren die Papiermengen keineswegs weniger geworden. Im Gegenteil, auf dem Schreibtisch stapelten sich Dutzende von Büchern und neuen Ordnern, deren Deckelaufschrift verriet, dass sie aus dem Nationalarchiv stammten. Das Chaos am Boden war unverändert eindrucksvoll, doch Angula hatte es anscheinend für nötig befunden, eine weitere Dimension hinzuzufügen. Er hatte Nägel in die Wand geschlagen und eine Wäscheleine mehrfach durch den Raum gespannt. An ihr hingen dicht an dicht einzelne Blätter, teils aus den Akten, teils mit Notizen, die Angulas krakelige Handschrift erkennen ließen. Dazwischen flirrte Staub, der mit der trockenen, heißen Luft für einen kaum unterdrückbaren Hustenreiz sorgte. Obwohl das alles nicht so wirkte, als ob es je zu irgendeinem Ergebnis führen könnte, behauptete Angula, er komme prächtig voran. Und wenn er nicht dauernd gestört würde …
Clemencia erinnerte ihn daran, wer hier die Vorgesetzte war. Außerdem brauche sie ihn jetzt dringend. Ihre kurze Erläuterung zu Donald Acheson hörte sich Angula unbewegt an. Dann nickte er und kam mit, nicht ohne ein paar ausgewählte Aktenordner unter den Arm zu klemmen. Unten bei der Wagenausgabe füllte Clemencia das Formular aus und bekam einen altersschwachen Citi Golf, dessen Chance, die Strecke bis über Gobabis hinaus zu schaffen, vielleicht bei fünfzig Prozent lag.
Damit Angula nicht drei Stunden lang Akten studierte, ließ Clemencia ihn fahren. Angula protestierte nicht, schmollte aber die erste Stunde Fahrt. Erst, als sie schon fast in Witvlei waren und Clemencia laut überlegte, warum Acheson seine ehemaligen Komplizen umgebracht haben könnte, brach Angula sein Schweigen. Das sei alles grundfalsch. Acheson habe mit dem Mord an Lubowski nichts zu tun, er sei nur als Sündenbock vorgesehen gewesen, und wenn die Staatsanwaltschaft sich damals nicht überraschenderweise quergestellt hätte, hätte das ja auch wunderbar geklappt.
«Hör auf mit dem Quatsch!», sagte Clemencia.
«Es ist alles so sonnenklar, Chefin, mir fehlen nur noch ein paar Beweise.»
«Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass die SWAPO selbst Lubowski liquidiert hat?», fragte Clemencia.
«Das ist noch nicht spruchreif!»
«Das wird es auch nie werden», sagte Clemencia. Vielleicht hätte sie auf Angulas Begleitung verzichten sollen. Einen Mann, der sich in abstruse Theorien verbiss und für nichts anderes mehr den Kopf frei hatte, konnte sie jetzt nicht brauchen.
«Wieso nicht?», fragte Angula.
«Weil Lubowski loyal war. Weil er für die Unabhängigkeit kämpfte. Weil die SWAPO und der Unabhängigkeitskampf ein und dasselbe sind. Und weil das CCB Lubowski umgebracht hat.»
Angula krampfte die Hände ums Lenkrad. Von der Seite sah Clemencia, wie er mit sich kämpfte. Und dann platzte es plötzlich aus ihm heraus. «Ich kriege sie dran! Diesmal kriege ich sie! Und Oshivelo als Ersten!»
«Oshivelo?»
Jetzt war kein Halten mehr. Angula stieß seine Sätze hervor, als hätten sie sich schon seit Ewigkeiten in ihm angestaut. Kein einziger davon hatte irgendetwas mit dem Kalaschnikow-Killer zu tun. Wie es schien, hatte sich Angula in den letzten Tagen ausschließlich mit völlig irrelevanten Ereignissen der Vergangenheit beschäftigt. Er konnte die politischen Entwicklungen der späten achtziger Jahre auf Tag und Stunde genau wiedergeben, er hatte die interne Struktur der SWAPO aus verschiedenen Quellen rekonstruiert und detaillierte Personenverzeichnisse angelegt.
Oshivelo sei zum Beispiel keineswegs ein Kämpfer gewesen, der dem Feind im Feld die Stirn geboten hätte. Er habe zumindest seit 1986 in der internen Aufklärung der SWAPO gearbeitet, was im Klartext bedeute, dass er seine Genossen bespitzelt habe. Natürlich sei er da nicht der Einzige gewesen, in der Parteiführung habe ja eine
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