Die Stunde des Schakals (German Edition)
die Bahre …»
«Dann tragt ihr sie eben mit den Händen!», befahl Clemencia.
Der Polizist sagte nichts.
«Ich muss den Fußboden untersuchen», erklärte Clemencia hilflos.
Der Polizist verschwand. Clemencia bewegte sich nicht, bis er mit einem Kollegen zurückgekommen war und den Toten abtransportiert hatte. Erst dann bückte sie sich. Die Blutflecken auf dem Dielenboden waren schon eingetrocknet. Da gab es nichts zu untersuchen. Clemencia fuhr mit der Hand über das Holz. Die Leiche war verschwunden, doch der Tod war immer noch da. Clemencia konnte ihn spüren, konnte ihn riechen. Er musste sich in diesem Zimmer eingenistet haben. Sie erhob sich. Immerhin konnte sie jetzt gehen, auch wenn sie sich so vorsichtig vorwärtstastete, als herrsche stockfinstere Nacht. Sie verließ das Haus.
Tatsächlich fühlte sie sich ein wenig besser, sobald sie ins Freie trat. Der Himmel war wolkenlos blau, die Sonne brannte. Clemencia überließ den Kollegen aus Gobabis das Feld und fragte, ob jemand sie zu ihrem Wagen unten im Nossob-Tal bringen könne. Als sie sich endlich auf dem Weg nach Windhoek befand, merkte sie, dass sie ihre Beklemmung noch nicht überwunden hatte. Etwas Dunkles, Schreckenerregendes begleitete sie. Es fuhr im Auto mit, klebte an Clemencias Händen, an ihrer Stirn und kicherte nur hämisch, wenn sie sich den Schweiß abwischte. Ein Stück vom Tod hatte sich in ihr festgesetzt.
Kurz vor Windhoek bog Clemencia rechts zum Avis-Damm ein. Sie stellte den Wagen am Parkplatz ab und nahm den Weg über die Staumauer. Der Wasserspiegel lag tiefer als in vergangenen Trockenzeiten, sodass Clemencia ein paar Meter zum See hinabsteigen musste. Sicher hätte es ihr gutgetan, hineinzuspringen und zu schwimmen, einfach zu schwimmen, bis sie entweder drüben ankam oder entkräftet unterging, doch sie krempelte nur die Hosenbeine hoch und ließ die nackten Füße im Wasser baumeln. Weit draußen paddelte ein Weißer in seinem Kajak. Auf dem Rundweg am Ufer entlang war wenig los. Die Jogger würden erst gegen Abend kommen, wenn die Temperaturen erträglicher wären. Ein paar Leute ließen ihre Hunde laufen. Ein Bullterrier war nicht darunter, soweit Clemencia das sehen konnte.
Sie holte ihr Handy hervor und las die neuen SMS. Miki Matilda bat um dringenden Rückruf. Miki Selma teilte mit, dass der Pfarrer eine sehr schöne Predigt gehalten habe, über deren Inhalt sie Clemencia baldmöglichst informieren müsse. Die restlichen Nachrichten stammten von Claus Tiedtke und lauteten: «Haben Sie schon etwas herausgefunden? Claus Tiedtke.» «Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich auf dem Laufenden hielten. Claus.» «Verdammt, jetzt melde dich endlich! Cl.» Clemencia löschte alles und schaltete das Handy aus.
Sie musste aufbrechen, sich Oshivelos Standpauke anhören und wieder an ihre Arbeit gehen. Irgendwann würde der dunkle Schatten schon verschwinden. Acheson war tot, doch die Welt war nicht untergegangen. Das Wasser lag ruhig und glatt vor Clemencia. Die schroffen Felsen des gegenüberliegenden Ufers spiegelten sich auf der Oberfläche. Am südlichen, flachen Ende, wo sich der Stausee weit zurückgezogen hatte, flatterten zwei Nilgänse auf, drehten eine 180-Grad-Kurve und landeten wieder. Am Himmel zogen ein paar kleine weiße Wolken gemächlich gegen Westen. Nichts, was Regen und Erleichterung versprach. Clemencia blies eine Ameise von ihrer Hand. Plötzlich stand ein krummbeiniger Dackel neben ihr und schaute ihr erwartungsvoll in die Augen. Dann hörte sie, wie von hinten jemand sagte: «Na, sind Sie eigens hier herausgekommen, um mir meine zweihundertfünfzig Dollar wiederzugeben?»
Es war Anwalt von Fleckenstein, der die Kaution für Melvin ausgelegt hatte. Der hatte Clemencia gerade noch gefehlt! Sie versuchte zu lächeln und spürte selbst, dass das misslang.
«Das ist äußerst löblich», sagte von Fleckenstein.
«Sie kriegen Ihr Geld schon noch», sagte Clemencia. Von Fleckenstein nickte. Dann stellte er seinen Dackel vor. Er hieß Ludwig der Zweite. Kurzform Luggi. Clemencia konzentrierte sich auf den Schlagrhythmus des Kajakfahrers draußen auf dem Wasser.
«Ist irgendetwas mit Ihnen, Fräulein?» Von Fleckenstein ließ sich ächzend neben Clemencia nieder. Der Dackel wackelte am Ufer entlang.
«Sie haben doch etwas auf dem Herzen», sagte von Fleckenstein.
Clemencias Herz war ihre Sache. Sie hatte nicht das geringste Bedürfnis, es irgendjemandem gegenüber auszuschütten. Schon gar
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