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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Streitkräfte kaum weniger weit entfernt. Selbst zum nächsten Telefon wäre mein Onkel ein paar Tage unterwegs gewesen. Was konnte er tun? Er äugte zu dem U-Boot hinaus, das außerhalb der Brandungslinie, doch deutlich innerhalb der Hoheitsgewässer des Mandatsgebiets im Wasser lag. Mein Onkel war allein, er war ein Mann, er hatte ein Gewehr, und er würde sein Bestes geben. Also lud er seine Büchse, legte an, zielte und eröffnete das Abwehrfeuer. Er lud nach, ballerte weiter. Acht Schüsse, acht Treffer. Alle ins Schwarze, beziehungsweise ins Rote, nämlich genau in die Mitte des Sowjetsterns am U-Boot-Turm.
    ‹Woher weißt du denn, dass du nicht vorbeigeschossen hast?›, fragte ich meinen Onkel später. Er gab zu, dass die Trefferwirkung bei einem U-Boot schwerer zu erkennen sei als bei einem Oryx, aber wer wie er einen Gemsbock auf dreihundert Meter exakt ins Blatt träfe, der verfehle doch nicht ein völlig ruhig liegendes Schiff. Und außerdem gebe ihm der Erfolg recht. Nach dem achten Schuss wäre das U-Boot jedenfalls langsam abgesunken, der Turm ins Wasser zurückgeglitten, und kurz darauf hätte man, so weit das Auge reichte, einzig wieder den ungestörten Meeresspiegel gesehen. Die anderen U-Boote der Invasionsflotte, von deren Existenz mein Onkel fest überzeugt war, wären gar nicht erst aufgetaucht. Der Überraschungseffekt, erklärte mein Onkel. Die Russen hatten einfach nicht damit gerechnet, an so einer entlegenen, gottverlassenen Küste auf erbitterte Gegenwehr zu treffen.»
    Von Fleckenstein strich seinem Hund über die Schnauze. Der Dackel nieste. Clemencia sagte: «Das ist doch alles erstunken und erlogen.»
    Von Fleckenstein nickte betrübt. «Meinem Onkel hat auch kaum einer geglaubt. Und später wünschte er selbst, die Geschichte hätte sich nie so ereignet, denn das tragische Ende kommt erst noch. In der Aufregung – und die ist ja nur zu verständlich, wenn unversehens die Verantwortung für das Schicksal der freien Welt auf den eigenen Schultern lastet –, in der Aufregung griff mein Onkel nämlich in die falsche Tasche und verfeuerte statt normaler Jagdmunition die präparierten Patronen auf die Russen. Der rote Stern auf dem U-Boot-Turm war nun mit echtem Gold durchwirkt, während mein Onkel mit leeren Händen dastand. Die Basisinvestitionen waren vertan, die Expedition zum Scheitern verurteilt. Millionen hätte mein Onkel gemacht, das wäre so sicher gewesen wie das Amen in der Kirche, aber von diesem Fehlschlag hat er sich nie mehr erholt. Dass er unserer Familie bei seinem Tod nur Schulden hinterlassen hat, darüber jammere ich gar nicht. Ich klage nur die grausame Ironie des Schicksals an. Warum muss ein Mann, der ohne zu zögern eine welthistorische Aufgabe annimmt, dafür mit seinem privaten Glück bezahlen? Ist das etwa gerecht?»
    Clemencia blickte von Fleckenstein an. Er warf einen Stein ins Wasser und sagte: «Es hat mich immer fasziniert, wie sich die Ringe ausbreiten.»
    «Es geht Ihnen gar nicht um Ihren Onkel, nicht wahr? Es geht um Anton Lubowski», sagte Clemencia. «Der hat ungerechterweise mit seinem Leben bezahlt, weil er Position bezogen hat. Sie haben diese ganze Geschichte nur erfunden, um das loszuwerden? Wollen Sie damit sagen, dass unser Killer nachträglich das Schicksal korrigiert habe? Dass ich Acheson zu Recht ins offene Messer habe laufen lassen?»
    Von Fleckenstein schüttelte den Kopf. «Mir ging es natürlich nur um meinen Onkel. Außerhalb meiner Familie ist er leider weitgehend vergessen. Völlig zu Unrecht, wenn Sie mich fragen. Ich könnte Ihnen da noch ein paar Storys erzählen …»
    «Danke!», sagte Clemencia. Es mochte durchaus sein, dass sich jede Tragödie in einer Komödie spiegelte, doch in diesem Fall stimmte das nicht. Selbst wenn von Fleckensteins Geschichte der Wahrheit entspräche, wäre sie in keiner Weise mit dem Fall Lubowski vergleichbar. Und sie hatte schon gleich gar nichts mit dem gemein, was Clemencia getan oder unterlassen hatte. Es war ein nett gemeinter Versuch gewesen, aber Clemencia half er nicht. Das Dunkel der Nacht endete nicht, wenn man eine Wunderkerze anzündete. Sobald sie abgebrannt war, war es schwärzer als zuvor.
    Clemencia fuhr ins Präsidium zurück und gab den Wagen ab. Auf der Treppe zu den Büros der Serious Crime Unit kam ihr Robinson entgegen. Er zischte grußlos an ihr vorbei. Anscheinend hatte Oshivelo es nicht für nötig befunden, erst mit ihr zu sprechen, sondern sie gleich vor ihren Leuten

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