Die Stunde des Schakals (German Edition)
nicht einem dreißig Jahre älteren, leicht schmierigen Kautionsanwalt. Es war auch nicht sie, die antwortete. Etwas, das sich ihrem Willen entzog, sagte: «Wissen Sie, wer Donald Acheson war? Er ist tot. Gestern Nacht erschossen.»
«Haben Sie …?», fragte von Fleckenstein.
«Nein», sagte Clemencia. Der Kajakfahrer hatte das Ufer auf der anderen Seite des Staudamms fast erreicht. Er stellte das Boot quer und ließ es an Land treiben. Clemencia sagte: «Zumindest nicht direkt.»
«Bei Fuß, Luggi!», brüllte von Fleckenstein dem Dackel nach und erklärte: «Er ist schon mal von einer Puffotter gebissen worden. Zum Glück waren wir nahe beim Auto, sodass ich ihn gerade noch rechtzeitig zum Tierarzt bringen konnte.»
«Ja, zum Glück!», sagte Clemencia.
Der Dackel kam angeschossen, wedelte mit dem Schwanz. Von Fleckenstein strich ihm übers Fell und sagte: «Acheson hat doch damals Lubowski abgeknallt. Wer immer den Mann erwischt hat, hat einen Orden verdient.»
Clemencia sah zu, wie sich der Kajakfahrer vorsichtig balancierend aufrichtete.
Von Fleckenstein schnaufte und sagte: «Wenn einer wie Acheson über den Jordan geschippert wird, ist das ein Segen für die ganze Nation. Sozusagen ein Akt der Vaterlandsverteidigung. Und dafür bin ich immer eingestanden, schon aus Familientradition. Soll ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen, Fräulein?»
«Nein», sagte Clemencia.
«Von meinem Onkel mütterlicherseits», fuhr von Fleckenstein ungerührt fort. «Das muss in den sechziger Jahren gewesen sein, 1962 vielleicht oder 1963. Jedenfalls war er an der Skelettküste unterwegs, um Gold zu finden. Um Gold zu suchen, wäre der richtige Ausdruck, werden Sie sagen, aber bei meinem Onkel traf das nicht unbedingt zu. Er hatte nämlich vor, Gold zu finden, ohne danach zu suchen. Selbst dort, wo es gar keines gab. Hilfreich dabei waren selbstgefertigte, mit Goldstaub angereicherte Patronen, welche er in geeignete Gesteinsadern schießen wollte. Diese sollten dann später potenziellen Investoren als Beweis für lohnende Vorkommen vorgeführt werden.
Sprechen Sie jetzt bloß nicht von Betrug! Schon der Weg ins Gelobte Land erforderte nämlich höchste Anstrengungen. An der Skelettküste nördlich von Terrace Bay gibt es heute noch nicht viel, und damals gab es gar nichts. Keine Straßen, kein Benzin, keinen Laden, keine Menschen, kein Wasser. Nur ein paar Wüstenelefanten und jede Menge Gemsböcke, an deren Fleisch man sich satt fressen konnte, wenn man einigermaßen mit dem Gewehr umzugehen wusste. Hunger litt mein Onkel wohl kaum, aber hart war es dennoch.
Nun gut, nach einem langen Arbeitstag saß er eines Abends am Atlantikstrand und sah aufs Meer hinaus. Das Gewehr hatte er für alle Fälle neben sich. Die Wellen rollten herein, und dahinter verglühte die Sonne am Horizont. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich auf zweihundert Kilometer nördlich wie südlich irgendjemand aufhielt, ging gegen null, und deswegen staunte mein Onkel nicht wenig, als draußen auf der See, etwa dreihundert Meter vom Strand entfernt, etwas Graues, unzweifelhaft nicht der Meeresfauna Zugehöriges auftauchte. Potz Blitz, das gibt es doch nicht, dachte mein Onkel, aber als sich das Ding weiter aus dem Wasser herausschob, war kein Zweifel möglich. Es handelte sich um den Turm eines U-Boots! Mein Onkel kniff die Augen zusammen. Trotz des ungünstigen Abendlichts konnte er den auflackierten roten Stern unter der Luke einwandfrei erkennen. Ein U-Boot der sowjetischen Kriegsmarine!
Ich weiß nicht, Fräulein, ob Sie über die weltpolitische Situation von damals Bescheid wissen. Die Kuba-Krise war gerade vorbei. Jedem war bewusst, dass es um ein Haar zum nuklearen Krieg zwischen den beiden Supermächten gekommen wäre. Chruschtschow hatte nach Kennedys Seeblockade im letzten Moment eingelenkt und seine Raketen aus Kuba abgezogen.
Aber wohin? fragte sich mein Onkel damals am Strand der Skelettküste. Wollten sich die Sowjets mit ihren Atomraketen jetzt etwa in Südwest breitmachen? Für die Buren aus der Union hatte mein Onkel nur etwas übrig, solange sie sich von ihm übers Ohr hauen ließen, aber die Kommunisten waren ihm noch suspekter. Wenn die an die Macht kämen, wäre es vorbei mit dem Abstecken von Claims, die man dann meistbietend an irgendwelche Dummen verkaufen konnte.
Nein, man musste der beginnenden Invasion entschlossen entgegentreten! Doch Kennedy und seine Marines waren jenseits des Atlantiks und die südafrikanischen
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