Die Stunde des Schakals (German Edition)
demontiert. Da konnte sie ihn auch noch ein wenig warten lassen. Sie wollte nachsehen, ob Angula sich schon zurückgemeldet hatte, doch in dessen Büro saß nur van Wyk. Er hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und futterte Kartoffelchips. Die Aktenberge, die den Raum gefüllt hatten, waren verschwunden.
«Anordnung des Chefs», sagte van Wyk. Die Akten seien zurückgebracht worden. Es sei jetzt Schluss mit dem Chaos und der Zeitverschwendung. Man müsse sich endlich auf das Wesentliche konzentrieren.
Das klang gut. Nur, was war das Wesentliche? Und für wen war es wesentlich? Clemencia sagte nichts. Van Wyk faltete die halbleere Chipstüte zusammen, überlegte es sich anders und bot Clemencia davon an. Sie fragte: «Was ist mit Angula?»
Van Wyk zuckte die Achseln.
«Und mit Robinson?»
«Ein Vernehmungserfolg im falschen Moment.» Van Wyk grinste und berichtete dann mit unverhohlener Schadenfreude: Der Angolaner, den Robinson in der Mangel gehabt hatte, hatte die Morde an van Zyl, Maree und Burger tatsächlich nach einem sechsstündigen Verhörmarathon gestanden. Und zwar in der vergangenen Nacht um 1 Uhr. Also ungefähr zu der Zeit, als der wahre Killer dreihundert Kilometer entfernt sein nächstes Opfer tötete. Robinson hatte erst am Vormittag nach Clemencias Anruf davon erfahren, und wie es der Teufel so wollte, war kurz darauf das endgültige Ergebnis der ballistischen Untersuchung auf seinem Schreibtisch gelandet. Das besagte, dass die Kalaschnikow des Angolaners mit Sicherheit nicht die Tatwaffe war. Robinson hatte etwas von Nachahmungstäter und Zweitwaffe gestammelt. Im verzweifelten Versuch zu retten, was nicht mehr zu retten war, hatte er den Angolaner wieder zum Verhör vorführen lassen. Dem Spuk hatte erst Oshivelo ein Ende bereitet. Der nun nicht mehr Verdächtige war auf freien Fuß gesetzt und Robinson zum Chef zitiert worden. Das Gespräch sei anscheinend nicht sehr harmonisch verlaufen, schloss van Wyk.
Das Gespräch, das Clemencia bevorstand, würde wohl kaum anders ausgehen. Sollte sie sich noch ein paar Minuten nehmen, um an einer Strategie zu feilen? Doch es gab keine Strategie, die nicht auf Ausflüchte hinauslief. Die Wahrheit war, dass irgendwer die Verantwortung für das Debakel übernehmen musste. Und wer sollte das außer ihr schon sein? Sie verließ das Zimmer und klopfte beim Chef an. Oshivelo ließ sie Platz nehmen. Er selbst blieb am Fenster stehen.
«Sehr gut, Inspector», sagte er, «dass Sie den Klarnamen dieses Donkerkop herausbekommen haben. Wir konnten Martinus Cloetes Wohnung auch schnell ausfindig machen, aber der Mann ist untergetaucht. Die Großfahndung läuft. Es sieht ganz so aus, als habe Acheson die Wahrheit gesagt. Martinus Cloete ist unser Killer.»
«Oder ein weiteres potenzielles Opfer», sagte Clemencia. «Sicher scheint jedenfalls, dass er beim Mord an Lubowski beteiligt war.»
Oshivelo wandte sich nicht zu ihr um. Er sagte: «Das ist jetzt nicht Ihr Problem, Inspector. Sie müssen erst einmal die Schießerei und all das verarbeiten. Nach diesen extrem belastenden Vorkommnissen haben Sie sich eine kleine Auszeit wahrlich verdient. Genau wie Kollege Angula. Polizisten sind keine Maschinen. Ich werde das der Öffentlichkeit gegenüber so darstellen und denke, dass das jeder nachvollziehen kann. Den Fall übernehme ich persönlich. Sie bleiben bis auf weiteres zu Hause.»
«Bis auf weiteres?», fragte Clemencia.
Oshivelo blickte aufmerksam zum Fenster hinaus. Weiß der Himmel, was er dort sah! Sonne, Vögel, Passanten, einen Fall, den er ab jetzt manipulieren konnte, wie er wollte. Oshivelo sagte: «Noch Fragen, Inspector?»
Clemencia stand auf. «Heißt das, dass ich offiziell suspendiert bin?»
«Sie stellen Ihre Dienstfähigkeit wieder her, das ist alles.»
Clemencia wandte sich ab. Als sie an der Tür war, sagte Oshivelo noch: «Ach ja, Inspector, Ihre Waffe geben Sie ab! Nur wegen der internen Untersuchung. Wir wollen doch nicht, dass Gerüchte aufkommen, Sie hätten Acheson erschossen.»
Clemencia ging wortlos. Als sie die Treppe hinabstieg, meldete ihr Handy eine SMS. Claus Tiedtke fragte nach, ob sie noch am Leben sei. Clemencia schrieb zurück: «Gehen wir heute Abend irgendwohin?»
«Schön, dass Sie noch leben! Wann, wohin?»
«Wo es so laut ist, dass man sich nicht unterhalten kann», tippte Clemencia ein.
Ndangi Oshivelo, Deputy Commissioner der namibischen Polizei:
Natürlich wurde Lubowski genauso überwacht wie jeder
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