Die Stunde des Schakals (German Edition)
herum, um zu beweisen, dass er und seine Leute keine Veranlassung hatten, ihren eigenen Spion umzubringen. Die Gegenseite behauptete, Ziel der Südafrikaner sei von Anfang an gewesen, Lubowski erpressbar zu machen. Und als er sich dagegen immun erwies, sei er getötet worden, nicht ohne der SWAPO dafür die Verantwortung zuzuschieben.
Was beweisen nun die hunderttausend Rand auf Lubowskis Konto? Gar nichts. Je mehr man sich abmüht, seine Wahrheit mit Fakten zu untermauern, desto mehr wird sie seltsamerweise zur Glaubenssache. Gedankengebäude steht gegen Gedankengebäude. Jedes ist so solide konstruiert, dass es unzerstörbar scheint, und doch können nicht beide gleichzeitig Bestand haben. Vielleicht ist keines von ihnen real. Vielleicht sollte man lieber darauf verzichten, Hintergründe zu suchen, wo es keine gibt.
4
TRÄUME
Der Morgen wurde weniger schlimm, als Clemencia beim Aufwachen befürchtet hatte. Sie duschte, und später frühstückten sie zusammen. Das heißt, eigentlich trank Clemencia nur einen Kaffee. Spiegeleier, Toast, Marmelade und Müsli rührte sie nicht an. Mieliepap habe er leider nicht im Haus, entschuldigte sich Claus. Er habe das Zeug nie ausstehen können.
Das mache nichts, sie frühstücke sowieso nie, log Clemencia. Dann unterhielten sie sich über Frühstücksgewohnheiten und Lieblingsessen. Clemencia erzählte nicht von ihren Albträumen während der Nacht. Seltsamerweise hatte Achesons Leiche darin keine Rolle mehr gespielt. Der Tod war weitergewandert, hatte sich in den Augen des Bullterriers eingenistet, zwischen denen die Mündung von Clemencias Pistole aufgelegen hatte. Gelbe, böse Augen, die einzig bedauerten, dass die Reißzähne eines Kampfhundes nicht mehr als ein Opfer gleichzeitig fassen konnten.
«Wenigstens ein bisschen Obst?», fragte Claus. Als Clemencia den Kopf schüttelte, plauderte er irgendetwas daher und grinste sie dabei an. Dass er sie besser nicht anfasste, hatte er von selbst bemerkt. Immerhin. Sie sagte, dass sie jetzt gehen müsse. Sein Angebot, sie nach Katutura zu fahren, lehnte sie entschieden ab. Ihre Verwandten seien an sich schon schlimm genug, und wenn sie jetzt nach zwei Nächten außer Haus von einem Weißen heimgebracht würde …
«Wem bist du denn Rechenschaft schuldig?», fragte Claus.
«Niemandem», antwortete Clemencia. Höchstens mir selbst, dachte sie. Sie sagte: «Trotzdem.»
«Ich ruf dich an», sagte Claus.
«Heute nicht.»
«SMS?»
«Morgen.»
«Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte?», fragte Claus.
«Nein.» Ihr Handy schaltete Clemencia zur Sicherheit aus, sobald sie im Taxi saß. Kurz nach 10 Uhr kam sie in der Frans Hoesenab Straat an. Was ihre Familie anbelangte, hätte sie sich ebenso gut von Claus herbringen und auf Händen durchs Tor tragen lassen können. Das hätte keinen Unterschied gemacht. Im Vorhof unter der Plane hüpften Jessica und ein paar Nachbarskinder zu der Musik herum, die aus der Mshasho Bar herüberschallte. Mit den Hüften wackelnd tänzelte Jessica auf Clemencia zu, kicherte und fragte: «Und, wie ist er?»
«Wieso seid ihr nicht in der Schule?», fragte Clemencia zurück.
«Sie haben die Ferien verlängert, weil irgendetwas mit den Einschreibungen nicht geklappt hat und … Ach, was weiß ich. Aber erzähl du doch mal!»
«Das geht dich nichts an», sagte Clemencia. Ihr Vater saß auf der Bank und lehnte den Rücken gegen die Wand des Bretterverschlags. Er nickte Clemencia kurz zu und dämmerte dann weiter vor sich hin. Bei ihrem Bruder Melvin kam sie nicht ohne eine Bemerkung davon.
«Respekt, Schwester, darauf musst du bestehen!», sagte er. «Gerade, weil er ein Weißer ist. Wenn dir der Typ keinen Respekt entgegenbringt, bekommt er es mit mir zu tun. Mach ihm das klar, Schwesterlein!»
Melvin wandte sich ab und schraubte weiter an einem alten Kühlschrank herum, den er wer weiß wo gekauft, geklaut, gefunden oder sonst wie aufgetrieben hatte. Miki Selma schlug bei Clemencias Anblick die Hände über dem Kopf zusammen. Man habe sich ja solche Sorgen gemacht! Und jetzt, nach fast einer Woche, komme Clemencia daher!
«Es waren zwei Tage», sagte Clemencia.
«Die beiden längsten Tage meines Lebens!», rief Miki Selma so vorwurfsvoll, als hätte Clemencia höchstpersönlich die Zeit aus den Fugen gehoben. «Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn mich der Pfarrer nicht beruhigt hätte. Das sei völlig normal für frisch Verliebte. ‹Aber Hochwürden!›, habe ich gesagt. Und
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