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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Wunderheiler heilten, so gut sie konnten, Tote mussten betrauert und beerdigt werden, und die Lebenden mussten von Tag zu Tag sehen, wie sie weiter überlebten. So war es eben. Was war daran kompliziert oder gar verwerflich?
    «Kindchen», sagte Miki Matilda, «wenn du mit der Welt ein Problem hast, muss es nicht unbedingt an der Welt liegen.»
    Vielleicht war daran sogar etwas Wahres. Vielleicht sollte Clemencia sich das Handwerk eines Klageweibs von Miki Matilda beibringen lassen. Unter Umständen könnte man die Techniken auch für sich selbst anwenden. Das Grauen, das Dunkle, den Tod, der einem in den Knochen saß, einfach hinausbrüllen, bis man sich völlig leer fühlte. Bis man wieder fähig war, sich dem Neuen zu öffnen, das einem jeder Tag bot.
    Miki Matilda sagte irgendetwas. Die Herero-Kopfbedeckung mit den beiden hörnerartigen Auswüchsen thronte nun auf ihrem Haar.
    «Was?», fragte Clemencia.
    «Kannst du mir mal dein Handy leihen? Ich bin noch nicht dazu gekommen, mir neue Airtime zu kaufen.»
    Clemencia hörte zu, wie Miki Matilda sich am Telefon ausgiebig nach der anwesenden Tjironda-Verwandtschaft erkundigte. Ach, auch die Tanten und Cousinen aus Otjiwarongo seien angereist? Das hätte den Toten sicher gefreut. Ja, er sei ein guter Mann gewesen. Mit viel Familiensinn. Unbedingt habe er sich eine Trauerfeier verdient, bei der es an nichts fehle.
    «Wo viel Mist ist, gibt es eine große Familie», flüsterte Miki Selma Clemencia zu. Clemencia kannte das Sprichwort nicht, aber die Bedeutung war klar. Wo viel Mist war, gab es viel Vieh, und bei einem solchen Reichtum erwartete natürlich auch die noch so entfernte Verwandtschaft, ausgehalten zu werden. Miki Selma schien dagegen zu meinen, nur leibliche Tanten hätten das Recht, ihre bei der Polizei beschäftigten Familienangehörigen zu schröpfen.
    Miki Matilda versicherte indessen am Telefon, dass sie jeden Moment da wäre. Sie säße bereits im Taxi. Clemencia zählte schon mal das nötige Kleingeld ab, um das sie gleich angepumpt würde. Natürlich konnte sie Miki Matilda vor den Tjirondas nicht als Lügnerin dastehen lassen. Bei der Hitze und in der schweren Herero-Tracht wäre ein Fußmarsch bis ans andere Ende von Katutura sowieso kaum zumutbar gewesen.
    Miki Matilda nahm das Taxigeld, als sei es die angemessene Bezahlung für die Rückgabe des Handys. Dann schritt sie erhobenen Hauptes zum Tor hinaus. Bevor Miki Selma Gelegenheit fand, sich genauer nach der vergangenen Nacht zu erkundigen, flüchtete Clemencia in ihr Zimmer. Schon auf der Schwelle schlug ihr ein penetranter Gestank entgegen. Nach Verwesung? Nach Milch, die vor geraumer Zeit verschüttet worden war? Clemencia stieß das Fenster auf und machte sich auf die Suche, sobald sie einigermaßen durchatmen konnte. Der Ursprung des Gestanks war nicht schwer zu finden. Man musste nur den Fliegen bis unter Clemencias Bett folgen. Sie bückte sich.
    Am Boden war ein Kreis aus Knöchelchen gelegt, in dessen Mitte eine undefinierbare, in einer Tasse vor sich hin gammelnde Flüssigkeit den beißenden Geruch ausströmte. Auch die kleinen Knochen schienen auf die Schmeißfliegen unwiderstehlich zu wirken. Wahrscheinlich hatte Miki Matilda sie in der unappetitlichen Brühe mariniert. An der Tasse lehnten ein kleiner Spiegel mit rosafarbener Plastikfassung und ein Foto von Claus Tiedtke. Ein hölzernes Rosenkranzkreuz, das etwas unmotiviert zwischen den Knochen lag, verriet, dass Miki Selma ebenfalls ihre Finger im Spiel gehabt hatte.
    Clemencia stand auf, ging zum Obststand auf der Straße hinaus, zog Miki Selma wortlos hoch und zerrte sie in ihr Zimmer. Dann zeigte sie unters Bett. Miki Selma blähte die Nasenflügel, breitete die Arme aus und sagte: «Es mag nicht ganz das traditionelle Rezept gewesen sein. Eigentlich müsste man Rinde oder Wurzeln von irgendeinem Busch anzünden, aber Matilda konnte sich nicht mehr erinnern, von welchem. Sie hat eben schon lange keinen Liebeszauber mehr durchgeführt. Also mussten wir ein wenig improvisieren. Immerhin hat es ja geholfen. Oder etwa nicht?»
    «Mach sofort den Dreck weg, Mikis!», befahl Clemencia.
    «Matilda behauptet, in fast allen Fällen, in denen ein Zauber angeblich nicht wirkt, lässt man ihm nur nicht genug Zeit dafür. Ich meine, an den Geruch gewöhnt man sich, und außerdem kannst du ja während der Nacht das Fenster offen lassen, bis …»
    «Mach das weg!», zischte Clemencia drohend.
    «Na, wenn du dir so sicher bist!» Grummelnd

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