Die Stunde des Schakals (German Edition)
er: Ich solle nur beten, dass ihr keinen Unsinn anstellt. Habt ihr Unsinn angestellt?»
«Nun hilf mir schon, Selma, ich muss los.» Miki Matilda würdigte Clemencia kaum eines Blickes. Sie trug ein paar bodenlange Kleider übereinander und hielt eine eingerollte Zeitung in den Händen, wie sie die Herero-Frauen zur Verstärkung ihrer traditionellen Kopfbedeckungen verwendeten. Den zum Oberkleid passenden Stoff um das Gerüst zu schlingen, gelang ihr allein nicht. Kein Wunder, Miki Matilda hatte das nicht von klein auf gelernt. Sie war nun mal keine Herero, sie war Damara.
«Es ist wegen Joseph Tjironda», erklärte Miki Selma. «Der war Herero.»
«War?», fragte Clemencia.
Miki Matilda fuchtelte mit der Zeitung in der Luft herum. «Ich habe gleich gewusst, dass es sinnlos ist, ihn gegen Lungenentzündung zu behandeln, solange der böse Zauber nicht beseitigt ist. Aber was sage ich! Sinnlos ist gar kein Ausdruck! Umgebracht haben sie ihn, die studierten Besserwisser vom Krankenhaus mit ihren Tabletten und Infusionen, mit ihren piepsenden und summenden Maschinen. Dabei war ich auf dem allerbesten Weg, hatte den Zauber so gut wie im Griff. Es konnte sich nur noch um Stunden handeln, bis Tjironda …»
«Und jetzt?», fragte Clemencia.
«Von den Toten auferwecken kann ich ihn auch nicht», sagte Miki Matilda.
«Die Familie wünscht vor der kirchlichen Zeremonie eine traditionelle Trauerfeier», sagte Miki Selma.
«Was auch das Allermindeste ist, nachdem sie ihn den Ärzten ausgeliefert haben!»
«Miki Matilda muss um 10 Uhr dort sein», sagte Miki Selma. Der Wecker auf der Kommode zeigte 10 Uhr 20 an.
«Na ja», sagte Miki Matilda, «es ist unwahrscheinlich, dass Joseph Tjironda heute noch anderes vorhat.»
«Sie haben dich verpflichtet?», fragte Clemencia ungläubig.
«Natürlich», sagte Miki Matilda. «Mein Ruf hat sich auch bei den Hereros herumgesprochen. Es gibt eben keine Bessere als mich.»
Im Zweitberuf war sie als professionelles Klageweib tätig. Clemencia war nie dabei gewesen, hatte sich aber berichten lassen, dass Miki Matilda sich bei der Arbeit nicht schonte. Sie raufte sich die Haare, schlug sich vor die Brust, klagte, jammerte, heulte und schrie bis zur völligen Erschöpfung, ja manchmal bis zur Bewusstlosigkeit. Noch Tage danach brachte sie vor lauter Heiserkeit nur ein Röcheln hervor, was vor allem deshalb sehr angenehm war, weil Miki Selma die Situation keineswegs ausnutzte, sondern sich solidarisch schweigsam verhielt.
Insofern begrüßte es Clemencia durchaus, wenn Miki Matilda auf diese Weise etwas zum Familieneinkommen beisteuerte, doch gab es gewisse Einschränkungen. Moralisch zumindest zweifelhaft schien, dass Miki Matilda ihre beiden Berufe nicht sauber trennte. Ausgerechnet die Toten gegen Entgelt zu beklagen, deren Dahinscheiden man als Wunderheilerin nicht verhindert hatte, konnte doch wilde Spekulationen eröffnen, gab Clemencia zu bedenken. Etwa in dem Sinn, dass der ganze Hühnerleber-Hokuspokus nur dazu diente, sich ein Folgegeschäft zu sichern.
«Das ist kein Hokuspokus», zischte Miki Matilda.
«Es geht um die Kombination von beidem», erklärte Clemencia. «Wenn ich zum Beispiel nebenbei ein Bestattungsunternehmen betreiben würde, das auf die Opfer von Gewalttaten spezialisiert ist …»
«Was sehr geschickt wäre, da du ja immer vor der Konkurrenz bei den Mordopfern beziehungsweise den Hinterbliebenen bist», warf Miki Selma ein.
«… und wenn ich dann jede Woche ein paar Verdächtige erschießen würde, an deren Begräbnis ich verdiene, würde man ja auch denken, dass ich vielleicht …»
«Du könntest den Familien nach dem Überbringen der traurigen Nachricht gleich ein Komplettangebot – Sarg, Blumenschmuck, Erledigung der Formalitäten – unterbreiten», sagte Miki Selma.
Miki Matilda spann den Faden weiter. «Das ist überhaupt die Idee! Was braucht es schon für so ein Bestattungsunternehmen?»
«Ein paar Mustersärge vielleicht. Aber dafür müssten Clemencias Ersparnisse reichen.»
«Die Werbung könnten wir uns jedenfalls sparen.»
«Ein schöner Name müsste noch her, wie zum Beispiel …»
«Zur letzten Reise!»
«Quatsch, das klingt nach zwielichtiger Spelunke am Stadtrand. Etwas Frommes müsste es sein. Wie wäre es mit ‹In God we trust›?»
«Heißt so nicht eine Konkurrenzfirma? Irgendwo habe ich das schon mal …»
«Schluss!», brüllte Clemencia, doch die beiden verstanden überhaupt nicht, warum sie sich aufregte.
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