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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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genug mit der Gewalt.
    Warum bewirkte das gerade der Mord an Anton Lubowski? Warum geschah es nicht früher, warum nicht später? Ich weiß es nicht. Vielleicht lag es an Lubowskis Position. Egal, ob man ihn als «SWAPOs weißen Sohn» oder als «Dandy-Kaffer» sah, egal, wie eindeutig er politisch Stellung bezog, er stand übermannsgroß zwischen den Fronten, mit dem einen Fuß in der einen, mit dem zweiten in der anderen Welt. Vielleicht machte sein Tod erst die Lücke frei, damit Schwarz und Weiß aufeinander zugehen konnten. Insofern wäre er – verzeihen Sie meine hochtrabenden Worte! – das Opfer, das auf dem Altar der Geschichte geschlachtet wurde.
    Bei solch einem Blutopfer interessiert aber nur, ob es gnädig aufgenommen wird und etwas nützt. Es ist nicht wichtig, wer die Kehle durchschnitten hat. Ja, es ist sogar schädlich, denjenigen zu benennen. Denn dann ist einer schuldig, einer mit Motiven, mit Eigeninteressen, und damit wird das Geheimnis, wie ein solches Opfer zum Wohl der Gemeinschaft wirken kann, zerstört. Ein Mythos muss im Dunkeln wurzeln, nur dann kann er seine Kraft entfalten.
    Wie gesagt, ich glaube nicht, dass sich damals irgendjemand darüber klar war, und es gab ja auch genügend, die Fragen zu den Hintergründen stellten und Hypothesen aufeinanderhäuften. Aber im Grunde, behaupte ich, im Grunde wollte man den Lubowski-Mord gar nicht aufklären. Und vielleicht war es sogar nötig, darauf zu verzichten, um sich in der Verpflichtung gegenüber diesem Opfer der Zukunft, dem Aufbau einer gemeinsamen Nation zuwenden zu können. Damals wenigstens mag es nötig gewesen sein.
    Aber nun sind zwei Jahrzehnte ins Land gegangen. Zeit, die Augen aufzusperren und sich umzusehen. Von Aufbruchsstimmung ist keine Spur mehr, die Ideale sind verflogen. Ein paar Schwarze sind reich geworden, ein paar korrupt, die SWAPO verwaltet die Macht um ihrer selbst willen, verteilt Pöstchen und profitiert davon, dass die Opposition es auch nicht anders machen würde. Ein paar Weiße stänkern hinter vorgehaltener Hand wie früher, andere haben sich arrangiert, nehmen einen ehemals Benachteiligten in die Firmenleitung auf, spenden ab und zu Malstifte für AIDS-Waisen und bleiben ansonsten genauso unter sich wie die Schwarzen auch. Und dafür soll Lubowski gestorben sein?
    Zwanzig Jahre sind vergangen, und noch immer will keiner wissen, was wirklich geschehen ist, nur die Gründe dafür haben sich schleichend verkehrt. Man hat sich eingerichtet im grauen Alltag, in dem Trott, der all die Kämpfe, die damals tobten, nicht im mindesten wert ist. Man will nicht daran erinnert werden, dass es um ganz andere Ziele ging und dass Menschen deswegen ermordet wurden. Nicht unter anderthalb Metern Erde ist Lubowski begraben, sondern unter dem schlechten Gewissen derer, die ihn überlebt haben. Weil wir uns heute nicht eingestehen wollen, dass wir nichts daraus gemacht haben, muss über die Dramen von damals geschwiegen werden. Und so wurde Lubowski zum zweiten Mal zum Opfer. Nur diesmal nicht für den Aufbruch in eine bessere Zukunft, sondern für das dumpfe, wohl ein wenig schmutzende, aber sonst nicht unangenehme Verharren in dem Sumpf, in den man irgendwie hineingeraten ist. Ist das nicht unerträglich?
    Na und, werden einige jetzt sagen, Lubowski juckt es nicht mehr. Tot ist nun mal tot. Ich sehe das ein wenig anders. Man kann Tote ein zweites Mal ermorden, und man kann auch versuchen, das zu verhindern.
     
    Vielleicht hatte er sich doch verrechnet. Vielleicht blieb ihm doch nicht mehr genügend Zeit, um alles zu Ende zu bringen. Die Wunde am Bein war nicht das Problem, aber das andere war schlimmer geworden. Das Brennen in seinen Eingeweiden. Dort, wo sich früher seine inneren Organe befunden haben mussten, war jetzt nur noch Schmerz. Unerträglicher Schmerz. Und die Hustenanfälle ließen ihn fast ersticken.
    Die anderen Passagiere waren so weit von ihm abgerückt, wie es der vollbesetzte Minibus zuließ. Er hatte die blaue Sporttasche an seinen zitternden Körper gepresst. Wie er die Fahrt nach Windhoek überstanden hatte, wusste er nicht. Am Roadblock bei der Heja-Lodge waren sie offensichtlich durchgewunken worden. Er war erst aufgeschreckt, als er den Fahndungsaufruf im Radio des Minibusses hörte, aber da hatten sie schon die Neubaugebiete am Stadtrand von Windhoek passiert. Jetzt fuhr der Bus in den Parkplatz der Engen-Tankstelle an der Kreuzung Sam Nujoma/Nelson Mandela Avenue ein. Hier würde er aussteigen.

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