Die Stunde des Schakals (German Edition)
entsprechenden Ausweis dazu.»
Der Husten schüttelte ihn durch. Als er wieder sprechen konnte, sagte er: «Drittens: Ich bleibe eine Weile hier.»
Der Chinese fragte nichts, sagte nichts. Er blickte ihm in die Augen, dann auf das Geld und wieder auf ihn. Dass er sich an die Polizei wandte, war kaum zu befürchten. Dennoch konnte eine Warnung nicht schaden.
«Der Tod ist mit mir», sagte er. Der Chinese nickte kaum merklich, als sei das der erste Satz, der ihm einleuchtete. Dann drehte er sich um und schlurfte hinaus.
Auf der Pritsche lag nicht einmal ein Kopfkissen. Er legte sich die Sporttasche zurecht und sah der nackten Glühbirne zu, die unter der Decke tanzte. Wenn er sich ausstreckte, waren die Schmerzen etwas erträglicher. Wäre jemand da gewesen, der ihm in der Vogelzwitschersprache Geschichten erzählte, hätte er vielleicht sogar schlafen können. Etwa zwei Stunden später brachte die junge Chinesin das Morphium. Die Uniform sei schwieriger zu beschaffen. Er müsse sich ein wenig gedulden. Er sagte, dass er nicht viel Zeit habe. Die Frau neigte den Kopf, tippelte rückwärts hinaus, und er spritzte sich das Morphium.
Dann legte er sich wieder hin und achtete auf die Schmerzen in seinem Leib. Sie kamen wie Wellen. Er konnte fast sehen, wie sich eine überschlug, in Gischt verwirbelte und an einem flachen Sandstrand auslief, während draußen die nächste gewaltsam brach und noch weiter draußen eine dritte sich aufbaute. Doch die Brandung wurde von Mal zu Mal schwächer, aus dem Krachen wurde ein Rauschen, aus dem Rauschen ein Plätschern, das Meer lief sich tot, zog sich zurück, schuf einen immer breiteren Strand mit glattem, feuchtem, unberührtem Sand, auf dem er jetzt dahintrabte, leichtfüßig. Er blickte sich um, sah die Spuren eines Schakals und trabte weiter. Wie er sich verwandelt hatte, war ihm nicht klar. Vielleicht gelang das auch nur jemandem, der nicht wusste, wie er es anstellen sollte.
Die ganze Nacht streunte er durch die Welt, lief durch die Wüste, erklomm Gebirge, betrat eine Stadt, die aufs Haar Windhoek glich, außer dass es dort keine Menschen gab, keinen einzigen, nur Schakale, Hyänen und jede Menge Fledermäuse. Er fragte einen anderen Schakal, wo die Menschen geblieben seien, und erfuhr, dass sie sich gegenseitig umgebracht hatten. Die letzten beiden hätten gleichzeitig aufeinandergeschossen und wären auch fast gleichzeitig gestorben. Das überraschte ihn nicht.
Er schlenderte die Independence Avenue entlang und sah, wie eine Ampel von Rot auf Grün sprang. Die verlassenen Autos setzten sich nicht in Bewegung. Bei einigen standen die Türen offen, als wären die Insassen in Panik geflüchtet. Dann zeigte die Ampel wieder Rot. Rot, grün, rot, grün, oder war es doch ein stählernes Blau? Ein Kalahari-Löwe mit weißer Mähne lag vor der Glasfront des Hungry-Lion-Fastfood-Restaurants und wandte träge den Kopf. Vom Hügel, aus der Gegend der Christuskirche und der Alten Feste, lachten Tüpfelhyänen ihr böses Lachen. Die Schakale, seine Genossen, trippelten durch die Fußgängerzone, umstrichen Bänke und Laternenpfähle, sprangen Mülltonnen an, um an Essbares zu gelangen. Wie viele von ihnen waren wohl Menschen gewesen, die sich noch rechtzeitig verwandelt hatten, bevor ihre Art untergegangen war?
Am Morgen lagen Uniform und Ausweis am Fußende der Pritsche. Die fünfzehntausend Rand waren verschwunden. Er zog sich um. Der leichte Schleier vor seinen Augen würde ihn kaum behindern. Schmerzen spürte er keine, aber er wusste, dass das nichts änderte. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er hängte sich die Sporttasche über die Schulter und verließ den menschenleeren Laden. Von einem Taxi ließ er sich nach Windhoek West bringen. Ein paar Häuser vor seinem Ziel stieg er aus, ging zu Fuß bis zum Tor und läutete. Eine Frauenstimme fragte durch die Sprechanlage, wer da sei.
«Strom und Wasser», sagte er knapp.
«Das ist doch erst kürzlich abgelesen worden», sagte die Frau.
«Interne Kontrolle», sagte er und wandte sich ab, um den blutigen Schleim auszuspucken, der sich in seiner Kehle gesammelt hatte. Es dauerte ein wenig, bis sich auf der anderen Seite des Tors leichte Schritte näherten. Er hielt den Ausweis gegen das Sichtfenster.
«Moment!» Die Frau, die ihm öffnete, war Mitte zwanzig, hübsch, groß gewachsen und sorgfältig geschminkt. Vielleicht war sie die Tochter. Sie tat ihm nicht mehr und nicht weniger leid als alle anderen. Er bückte sich und zog
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