Die Stunde des Schakals (German Edition)
den Reißverschluss der Sporttasche auf.
«Der Wasserzähler ist da drüben», sagte die junge Frau.
Er richtete die Kalaschnikow auf sie und sagte: «Wenn Sie still sind, passiert Ihnen nichts.»
Sie blickte auf die Mündung des Gewehrs, sagte so leise, dass er es kaum hören konnte: «Bitte!»
«Gehen Sie vor!», befahl er. Sie nickte einmal, zweimal, eifrig fast, als wolle sie irgendeine Peinlichkeit gutmachen. Dann drehte sie sich um, und er folgte ihr ins Haus. Ein Mann saß im Unterhemd am Frühstückstisch. Er versuchte nicht, den Helden zu spielen, sondern hob die Hände, obwohl ihn niemand dazu aufgefordert hatte. Vor ihm stand eine Schüssel mit Mieliepap und eine Tasse, auf der anderen Seite ein Glas Orangensaft und ein Teller mit kleingeschnittenen Bananen und Papayas.
«Frühstücken Sie ruhig weiter!», sagte er. Mit der AK-47 im Anschlag setzte er sich in einen Sessel, der etwa vier Meter entfernt stand. Er deutete mit dem Gewehrlauf auf die junge Frau und fragte: «Ihre Tochter?»
Die Frau sagte: «Wir sind seit drei Jahren verheiratet.»
«Haben Sie Kinder?»
Sie antwortete nicht.
«Sie sind sehr schön», sagte er. «Liebt Ihr Mann Sie?»
Der Mann ließ langsam die Hände sinken und sagte: «Sie bringen sich in Teufels Küche.»
«Liebt er Sie?»
«Was heißt schon Liebe?», fragte sie zurück.
Er nickte. Dann wandte er sich an den Mann. «Sie wissen, was ich von Ihnen will?»
Der Mann schüttelte den Kopf, fragte zurück: «Geld?»
Geld? Das war eine lustige Idee. Da musste er nun wirklich lachen. Das Lachen ging in ein Husten über, das seinen Körper durchrüttelte, doch er hatte ja die Kalaschnikow, an der er sich festhalten konnte.
Von Anfang an hatte Clemencia das Gefühl, dass bei der Überwachung nichts herauskommen würde. Trotzdem hatte sie ihre Familie aufgeteilt und mit Claus Tiedtkes Wagen an den entsprechenden Stellen abgesetzt. Die Frauen übernahmen Martinus Cloetes Autowerkstatt. Miki Selma saß unter ihrem Schirm direkt an der Einfahrt, die von der Mandume Ndemufayo Avenue in den Hinterhof führte, Miki Matilda und Constancia patrouillierten durch die Tacoma und Acacia Street, um rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein, falls sich der Killer hinterrücks über Mauern und Zäune nähern sollte.
Alle drei hatten sich als Losverkäuferinnen getarnt. Die Lotteriescheine waren ihnen von einem Neffen des verstorbenen Joseph Tjironda gegen die Zusicherung überlassen worden, siebzig Prozent des eventuell erzielten Erlöses bei ihm abzuliefern. Der Neffe, der normalerweise im Zentrum, nämlich am Eingang des Hauptsitzes der First National Bank, seinem Geschäft nachging, zweifelte zwar an der Einträglichkeit des von den Damen gewählten Zielgebiets, freundete sich aber schnell mit dem Gedanken an, als Arbeitgeber ein, zwei Tage lang nichts zu tun und andere für seinen Broterwerb sorgen zu lassen.
Für Martinus Cloetes Privatadresse war Melvin zuständig. Und seine Kumpane, die – wie er versicherte – jeden Moment eintreffen mussten. Cloetes Reihenhaus lag mitten in der Kleinsiedlung Barcelona. Das ganze Areal war durch Mauern und Elektrozaun vom umliegenden Brachfeld abgetrennt und verfügte über eigenes Wachpersonal, zu dem sich jetzt noch Oshivelos Leute gesellten. Sicherer konnte man in Windhoek nicht wohnen. Wenn überhaupt, würde der Killer versuchen, unter einem Vorwand durch das Elektrotor zu gelangen, das die einzige Zufahrt versperrte. Die Bewohner des Komplexes besaßen ihre eigene Fernbedienung für das Tor, Besucher mussten sich im angrenzenden Wachhäuschen anmelden und per Intercom die Erlaubnis zum Zutritt einholen.
Clemencia schärfte Melvin ein, auf Boten, Lieferanten und überhaupt alle einzelnen Männer zu achten, die vom Sicherheitspersonal durchgelassen wurden. Deren Autokennzeichen solle er notieren und umgehend Clemencia verständigen. Melvin postierte sich auf der anderen Straßenseite in genügend großem Abstand, um den Wachleuten an der Schranke nicht aufzufallen.
Als Clemencia drei Stunden später nach dem Rechten sah, war Melvin allerdings nicht mehr dort. Dafür waren fünf junge Arbeiter in neonfarbenen Schutzwesten damit beschäftigt, an der Zufahrt zur Siedlung Barcelona den Asphalt aufzuhacken. Clemencia wählte Melvins Nummer an. Einer der Arbeiter, der sich malerisch auf seine Spitzhacke gestützt hatte, zog ein Handy hervor.
«Komm sofort zu mir herüber!», zischte sie ins Telefon. Der Arbeiter sah sich suchend um, lehnte
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