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Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Folgte daraus irgendetwas? Die Wahrheit war, dass sie bei der Farbe Rot nicht an Rosen, sondern an Blut dachte, dass ihr der Tod im Moment näher stand als die Liebe. Clemencia überlegte, ob sie ihm von den glühenden Augen des Bullterriers erzählen sollte, die im Dunkeln auf sie warteten, aber bevor sie sich entschließen konnte, verabschiedete sich Claus Tiedtke. Er müsse wieder arbeiten. Sie habe ja seine Telefonnummer. Clemencia ging. Vielleicht war es besser so.
    Eine Weile nach ihr kam der Rest der Familie nach Hause. Obwohl keines der Überwachungsteams ein greifbares Ergebnis vorzuweisen hatte, war die Stimmung so aufgekratzt, dass nicht auffiel, wie schweigsam Clemencia blieb. Sie zog sich bald in ihr Zimmer zurück, sperrte sich ein. Strom gab es nicht, und die Kerze, die Clemencia entzündete, genügte nicht, um die Augen des Bullterriers aus den dunklen Ecken zu vertreiben. Solange draußen palavert und gelacht wurde, solange Miki Selma sich über die Vorzüge und Nachteile des Losverkäuferinnendaseins ausließ und Miki Matildas Aufkreischen durch jeden Winkel fegte, war es auszuhalten. Als nur noch die Musik aus der Mshasho Bar zu hören war, als Clemencia in den dumpfen Beats mal das Knurren eines Kampfhunds, mal das Knattern einer Kalaschnikow zu erkennen glaubte, war an Schlaf nicht mehr zu denken.
    Unentwegt flimmerten Bilder an ihr vorbei. Die unter einer Decke hervorragenden Füße des toten Acheson, die plötzlich aufleuchtenden Scheinwerfer eines Bakkies, eine Eisenkette, die sich unter dem Sprung eines Bullterriers straffte, ein erhängter Sträfling, ein Ex-Richter, der Rauchfleisch schnitt, ein ausgebranntes Fahrzeug einer Sicherheitsfirma, Patronenhülsen auf der Hand eines Streifenpolizisten, ein Mädchen, das sich kreischend auf einem Sofa hin und her warf, ein anderes, in SWAPO-Farben gekleidetes Mädchen, das einem Sarg aus einer Kirche folgte, ein vergilbtes Foto Anton Lubowskis, schwerbewaffnete südafrikanische Soldaten, die in den Straßen Katuturas vorrückten, Stacheldrahtrollen und ein gelber Bullterrierblick, der auch nicht erlöschen wollte, als die Kerze längst heruntergebrannt war.
    Um 5 Uhr morgens rief Clemencia Angula an. Er nahm sofort ab. «Chefin?»
    «Ich wollte nur …»
    «Meiner Hand geht es ausgezeichnet», sagte Angula.
    «Gut, sehr gut», sagte Clemencia.
    «Kaum mehr was zu spüren», sagte Angula.
    «Dass du wieder gesund wirst, das ist das Wichtigste.»
    «Ja.»
    «Angula?»
    «Ja?»
    «Was machst du gerade?»
    «Ich? Nichts.»
    «Du kannst nicht schlafen, oder?»
    «Doch, wunderbar», sagte Angula. «Es ist nur …, ich wache manchmal auf. Wegen der Hitze.»
    «Und dann?»
    «Chefin?»
    «Was machst du, wenn du aufwachst?»
    «Dann denke ich mir, wenn ich schon mal wach bin, kann ich genauso gut aufstehen und mir ein paar Notizen machen.»
    «Notizen?»
    «Nur so für mich. Es ist ja eh nicht gerichtsverwertbar, wenn sie die Aktenbeweise vernichten.»
    «Die Lubowski-Sache? Du bist immer noch damit beschäftigt?»
    «Nur so für mich.»
    «Wieso, Angula?»
    «Ich schreibe nur auf, wie es gewesen ist.»
    «Wie du denkst, dass es gewesen sein könnte», korrigierte Clemencia.
    «Ja, natürlich», sagte Angula.
    Das Zimmer war dunkel und heiß. Über Clemencias Bett glühten zwei gelbe Punkte. Sie sagte: «Angeblich soll es bald regnen. Vielleicht schon morgen. Dann kühlt es ab, und man kann wieder besser schlafen.»
    «Wäre überhaupt gut, so ein ordentlicher Regen, auch für die Natur», sagte Angula.
    «Ja, für die Natur auch.»
    «Na, dann werde ich mal wieder …», sagte Angula. «Mich noch ein, zwei Stündchen hinlegen, meine ich.»
    «Gute Nacht», sagte Clemencia.
    «Gute Nacht.»
    «Angula?», fragte Clemencia, doch er hatte schon aufgelegt. Sie wusste sowieso nicht, was sie ihn noch hätte fragen wollen. Sie wusste auch nicht, warum sie ihn überhaupt angerufen hatte. Vielleicht, weil er auf Achesons Farm dabei gewesen war und zusammen mit ihr den Killer fast gestellt hätte. Sie tastete sich durchs dunkle Zimmer und fand noch eine Kerze, die sie anzünden konnte. Sollte sie sich auch Notizen machen? Ihre eigenen fixen Ideen aufschreiben? Manchmal wächst einem ein Fall über den Kopf, hatte Matti Jurmela ihr mal in einer langen finnischen Winternacht gestanden. Nein, mehr noch, er frisst dich auf. Mit Haut und Haaren.
    «Und dann?», hatte sie gefragt.
    «Dann weißt du, dass du völlig in dem Fall drin bist», hatte Jurmela gesagt. Und

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