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Die Stunde des Spielers

Die Stunde des Spielers

Titel: Die Stunde des Spielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
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Hier, ich glaube, ich habe einen Flyer.« Sie griff unter den Tresen und holte einen ein seitig bedruckten Handzettel hervor. Darauf stand in dicken, fetten Buchstaben: AUSSTELLUNG DER WAFFENFREUNDE DES MITTLEREN WESTENS.
    Eine Waffenausstellung. Die Produzentin hatte mir ein Zimmer in einem Hotel gebucht, in dem ein Waffenkongress stattfand. Irgendwie war das urkomisch.
    »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen«, sagte ich. Die Empfangschefin lächelte weiterhin ihr Kundenbetreuungslächeln und reichte uns unsere Schlüsselkarten. Wir begaben uns auf die Suche nach den Aufzügen.
    Ben nahm mir den Flyer ab und lachte tatsächlich vor sich hin. »Wow! Was für ein unglaublicher Zufall!«
    »Ist es zu spät, das Hotel zu wechseln?«, fragte ich. »Ich will nicht unter einem Dach mit einem Waffenkongress schlafen. Ich glaube einfach nicht, dass sie mir ein Hotel gebucht haben, in dem es Waffen gibt!«
    Ben zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich ist er in einem völlig anderen Teil des Gebäudes. Wir werden überhaupt nichts davon mitbekommen.«
    Wir fanden die Aufzüge, die sich, wie sich herausstellte, neben dem Festsaal befanden, vor dem ein riesiges Schild die Ausstellung der Waffenfreunde des Mittleren Westens ankündigte. Auf dem Weg zu meinem Zimmer würde ich jedes Mal zwangsläufig daran vorbeilaufen.
    Ich mochte Waffen nicht. In letzter Zeit hatte ich mehr darüber erfahren, als ich je wissen wollte, unter anderem hatte ich zu Überlebenszwecken das Schießen gelernt. Doch ich trug keine Waffe bei mir. Das wollte ich nicht. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass nichts Gutes dabei herauskam, wenn Waffen im Spiel waren.
    Ben schob sich langsam auf den Saal zu und reckte den Hals, als versuche er, einen Blick hineinzuwerfen.
    »Wahrscheinlich kenne ich hier ein paar Leute«, sagte er. »Vielleicht sollte ich ein bisschen bleiben und sehen, ob ich jemanden entdecke.«
    »Und wie viele dieser Leute laufen mit Silberkugeln herum?« Das ließ sich durchs bloße Hinsehen nicht abschätzen. Die meisten Menschen, die an uns vorübergingen, sahen völlig normal aus. Ohne das Schild der Waffenausstellung hätte ich keinen von ihnen verdächtigt, ein bewaffneter Irrer zu sein. Gefährliche Leute sollten auffällig sein, mit Gesichtstätowierungen und nietenbesetzten Halsbändern. Sie sollten Brutus oder so heißen.
    Ben legte nachdenklich den Kopf schräg. »Bestimmt einige von ihnen.«
    Oh, dieses Wochenende fing gar nicht gut an! »Ich bezweifle wirklich, dass du hier jemanden kennst. Konzentrieren wir uns lieber auf die vor uns liegenden Aufgaben.«
    Da rief eine Stimme quer durch den Gang: »O’Farrell? Ben O’Farrell?«
    Vom Festsaal aus kam die Art von Gestalt auf uns zu, die ich bei einem Waffenkongress erwartete: groß wie ein Linebacker, glatzköpfig, in Jeans und tonnenweise Leder gekleidet. Eine Stacheldrahttätowierung rankte sich um seinen Hals und verschwand in seinem Hemd. An seiner Jacke und den Lederstiefeln klirrten Ketten. Wahrscheinlich hatte er eine Harley in der Tiefgarage stehen.
    Ungläubig sagte Ben: »Boris?«
    Wenigstens nicht Brutus.
    Vielleicht hätte man einen herzlichen Handschlag unter Freunden erwartet, Lächeln, eine Unterhaltung wie beim Klassentreffen über die Arbeit und die Kinder und all das. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen kam Boris näher und blieb fünf Schritte von Ben entfernt stehen. Gerade außer Reichweite. Sie musterten einander von Kopf bis Fuß. Ich konnte beinahe die Steppenläufer im Hintergrund vorbeiwehen hören.
    Ganz in der Nähe glitt die Aufzugtür auf. Ich versuchte, mich auf sie zuzuschieben und Ben gedanklich dazuzubringen, mir zu folgen, damit wir in den Lift schlüpfen und von hier verschwinden konnten. Doch die beiden Männer waren völlig in ihr Blickduell vertieft. Ben würde sich nicht vom Fleck rühren, und ich würde nicht ohne ihn gehen. Die Aufzugtür schloss sich wieder, der Fluchtweg war versperrt.
    »Wie geht es dir?«, fragte Boris. »Ist schon eine Weile her - seit diesem Job in Boise, nicht wahr?«
    »Muss wohl so sein. Das war ein ziemlicher Schlamassel«, sagte Ben, deutlich unzufrieden. Doch Boris lächelte, als erfülle ihn die Erinnerung mit Stolz.
    Da bemerkte er mich. Ich stand ein Stück hinter Ben, seitlich von ihm, und versuchte unauffällig zu sein, weil das hier seine Sache war. Doch Boris erkannte mich, und die Art, wie er die Augen zu Schlitzen verengte, zeigte, dass er mich nicht mochte. Er musste mich nicht kennen,

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