Die Stunde des Spielers
konnten nicht alle beruflich das Gleiche wie Cormac machen. Während ich mich von den Aufzügen den Gang entlangschob, bis die Doppeltür des Hauptfestsaals in Sicht kam, beobachtete ich das allgemeine Kommen und Gehen. Schließlich sollte man seinen Feind kennen. Größtenteils waren die Konferenzteilnehmer völlig unauffällig. Viel mehr Männer als Frauen. Die meisten waren leger gekleidet: Jeans, Shorts, T-Shirts, Joggingschuhe. Alle Altersstufen waren vertreten - manche Leute hatten sogar Kinder dabei -, der Strom an Menschen, die den Festsaal betraten oder verließen, wirkte wie ein ganz gewöhnlicher Querschnitt durch die amerikanische Mittelschicht. Waffenfreund. Das klang nicht allzu gefährlich. Das hier waren Hobbyschützen, die am Schießstand auf Scheiben schossen und seltene Waffen sammelten. Völlig harmlos. Ich musste mir doch bestimmt keine Sorgen um Kopfgeldjäger oder Auftragskiller machen, nicht mitten in einem Casino mit all den Sicherheitsvorkehrungen. Besonders nicht um solche, die etwas gegen Werwölfe hatten und die Gelegenheit für ein Übungsschießen nutzen könnten - beispielsweise, sagen wir mal, wenn ich im Scheinwerferlicht auf der Bühne saß.
Doch ich konnte einfach nicht vergessen, wie viele Leute in diesem Hotel genau in diesem Augenblick Handfeuerwaffen mit sich herumtrugen.
Sobald ich auf das Casino und einen anderen Gang zusteuerte, der zum Jupiter-Theater führte, versteiften sich auf einmal meine Schultern. Jemand folgte mir. Die Wölfin spürte es, hörte oder roch es, oder alles davon zusammen auf die Art, die jene Seite von mir so überempfindlich machte. Ich holte Luft, um nicht in Panik zu verfallen, und widerstand der Versuchung, voreilige falsche Schlüsse zu ziehen.
Als ich mich umdrehte, wirkte die Frau überrascht, als habe sie nicht damit gerechnet, dass ich von ihrer Gegenwart wusste. Sie war kleiner als ich, dünn, mit sonnengebräuntem Gesicht und kurzen lockigen Haaren. Sie trug Sandalen, ausgebleichte Jeans und eine weiße Bluse. Ihr Schmuck, Ohrringe und Kette, war aus Silber, das Make-up dezent. In jeder Hinsicht unauffällig.
Sie erholte sich schnell von ihrer Überraschung und schenkte mir ein Lächeln. »Es tut mir leid, Sie müssen mich wohl kommen gesehen haben.«
»Ja, etwas in der Art.«
Jetzt sah sie nervös aus, doch das Lächeln trübte sich nicht. »Ich möchte Sie nicht belästigen. Das hier muss wirklich unverschämt wirken, aber - Sie sind Kitty Norville, nicht wahr?«
Ach so. Ich senkte den Blick. »Ja.«
»Ich habe Sie aus dem Time -Artikel letzten Winter wiedererkannt.«
»Das hatte ich befürchtet«, sagte ich und schnitt eine Grimasse, gab mir allerdings Mühe, höflich zu sein. Letz- ten Herbst hatte der Senat ausgerechnet Anhörungen zu Vampiren und Lykanthropen abgehalten, nachdem ein
Geheimprojekt der NIH zur Erforschung paranormaler Phänomene publik gemacht worden war. Ich sollte dort als Zeugin aussagen, und aus verschiedenen Gründen entschied Time sich für mich als Covergirl. Das würde mir noch ewig nachhängen.
Da ich Radiomoderatorin war, musste eigentlich niemand erfahren, wie ich aussah. So hatte es mir gefallen. Doch nach den Anhörungen und der Publicity - und mal ganz abgesehen davon, dass man mich live im Fernsehen als Werwolf geoutet hatte - schien es aussichtslos, anonym bleiben zu wollen. Daher die Möglichkeit meiner eigenen Fernsehsendung.
»Oh, das muss Ihnen nicht peinlich sein, es ist ein guter Artikel gewesen«, sagte sie. »Jedenfalls interessant. Bestimmt gute Publicity für Sie.«
Ungefähr so interessant wie die Sprüche in chinesischen Glückskeksen. »Tja, danke. Ich kann nicht klagen.« Ich erwartete, dass sie noch ein paar entschuldigende Bemerkungen fallen lassen und dann verschwinden würde. Vielleicht hoffte ich insgeheim, dass sie mich um ein Autogramm bäte. Vielleicht war ich auch ein wenig enttäuscht, dass sie es nicht tat. Doch sie stand einfach nur da und lächelte mich an. Musterte mich, was mich allmählich nervös machte. »Also. Was bringt Sie nach Vegas?«
»Ich bin wegen der Ausstellung hier«, sagte sie und nickte über die Schulter in Richtung des Festsaals. Verstoh-len ließ ich den Blick über sie schweifen, um zu sehen, ob sie Halfter oder versteckte Waffen trug. Ich konnte nichts entdecken. Sie sah so normal aus. »Tja, Sie wirken beschäftigt, also werde ich Sie nicht aufhalten. Aber es ist echt schön gewesen, mit Ihnen zu sprechen.« Sie machte Anstalten zu
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