Die Stunde des Tors
Nahrungsaufnahme sich ein wenig von unserer unterscheidet.«
»Unsere Ehegebräuche sind auch ein wenig anders.« Jon-Tom blickte vielsagend zu dem Boudoir hoch.
»Ich hörte davon. Ehre ist eine sonderbare Sache. Manchmal ist es besser, glücklich und geehrt zu sterben, als erbärmlich und unrespektiert zu leben. Und du bedenkst nicht die Wirkung, die solche immer wiederkehrenden Vermählungen auf meine Seele haben. Es ist oft eine Last. Mir ist kein Leben beständigen Glücks gestattet, sondern nur kurze Perioden, denen reuevolle Melancholie folgt. Die Tradition muß jedoch aufrechterhalten werden.« Sie winkte großmütig mit einem Bein.
»Alles Gewünschte wird zur Verfügung gestellt werden. Ich hoffe nur, daß wir ausreichend Zeit zur Vorbereitung haben und daß wir einen Pfad finden, auf dem wir vorankommen können.«
»Wir sind äußerst dankbar«, sagte Clodsahamp und verbeugte sich leicht. »Du bist tatsächlich eine Große Webmeisterin.«
»Es ist kein Kompliment zu sagen, daß jemand die Wahrheit erkennen kann.« Sie wedelte mit mehreren Beinen. »Viel Glück euch allen, meine neugefundenen Freunde.«
Die Besucher begannen aus dem Raum zu strömen. Jon-Tom war schon halb aus dem Portal, als er sich umdrehte und zu ihr zurückging.
»Die Audienz ist beendet«, erklärte ihm Oll nicht mehr ganz so höflich.
»Es tut mir leid. Aber ich muß etwas wissen. Dann werde ich dich nicht mehr in deiner Privatsphäre stören.«
Unergründliche Augen betrachteten ihn schweigend. »Dann frage.«
»Warum hast du mich zum Reden ausgewählt, anstatt Clodsahamp oder Caz oder einen von den anderen?«
»Warum? Oh, wegen deiner erfreulichen und originellen Kleiderwahl. Sie zeichnet dich eindeutig als ein deinen Begleitern überlegenes Wesen aus, ganz abgesehen von den hexerischen Talenten.«
Sie drehte sich um und ging mit rhythmischen Bewegungen zurück unter das königliche Boudoir. Dann kletterte sie an dem Strang, an dem sie sich heruntergelassen hatte, hoch und verschwand hinter der Barriere aus Edelsteinen und Seidenstickerei.
Jon-Tom blieb zurück und dachte über seine schwarzen Stiefel und die passende Weste, das Indigohemd, den grün schillernden Umhang und den türkisfarbenen Seidenschal nach.
Erst viel später, ajs sie unter Ananthos Führung Gossameringue verließen, durchfuhr ihn der beunruhigende Gedanke, daß die Große Webmeisterin ihn vielleicht als Objekt für etwas anderes als Konversation in Erwägung gezogen hatte..
XI
Es war schrecklich in den Bergen.
Im Westen und Osten ragten noch höhere Gipfel empor, und als sie nach Süden wanderten, kamen sie über die windgepeitschten Hänge von Zaryts Zähnen, wo diese sich mit den tieferen, aber immer noch beeindruckenden Bergen verbanden, aus denen das Hochgebirge entsprang. Es war bitterkalt, und schon bald schritten sie nicht mehr über Felsgestein oder Erdreich, sondern auf Schnee, so trocken und frisch, daß er unter den Füßen wie Zucker knirschte.
Am dritten Tag, nachdem sie die Schildebene mit ihren sanften Strömen und warmen Wäldern verlassen hatten, gerieten sie in ein Schneetreiben. Am Tag darauf torkelten sie durch einen mittelschweren Schneesturm. Olls Befürchtung, daß das Südgebirge sich als unüberquerbar erweisen würde, schien durchaus berechtigt.
Mudge und Caz litten am wenigsten unter diesen Strapazen, im Gegensatz zu ihren Gefährten, die nicht mit den Vorteilen eines persönlichen Pelzes gesegnet waren.
Alle profitierten sie von dem Beispiel, das der stoische Bribbens gab. Obwohl äußerst kälteempfindlich, stapfte er geduldig weiter, stumm und klaglos. Oft waren seine kugeligen Augen das einzige, das außerhalb der dicken Kleider zu sehen war, die die Weber zur Verfügung gestellt hatten. Er behielt sein Leid für sich, und so taten seine Gefährten beschämt dasselbe.
Ananthos, der sich nur auf die unzuverlässigsten aller Führer stützen konnte, nämlich auf Gerüchte und Mutmaßungen, gelang es immerhin, irgendwie einen Weg nach Süden auszukundschaften.
Nach fünf Tagen, in denen sie nur wenig vorangekommen waren, hatte Jon-Tom plötzlich einen Einfall. Im Schutz einer kleinen Höhle schlugen sie ein provisorisches Lager auf. Jon- Tom und Flor führten die anderen bei der Suche nach geeigneten Schlingpflanzen und Sprößlingen an, die sie dann mit der Spinnenseide verwoben, die Ananthos absonderte.
Mit Hilfe der neuen Schneeschuhe gelang es ihnen, ihr Tempo beachtlich zu erhöhen. Das beflügelte auch
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