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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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ihm finanziert, und ich frage mich, was er mit all diesem Gewebe anfangen will. Inzwischen hat jeder Knecht graue Beinkleider und Wämser, und alle seine Mägde tragen feste Umhänge. Seine Stoffvorräte müssen auf Jahre hinaus reichen.«
    Aimée nahm die Neuigkeit mit dem Gefühl auf, dass sie für sie noch bedeutsam werden sollte.
    »Handelt es sich denn um eine einigermaßen vernünftige Qualität?«, erkundigte sie sich und erntete ein Lachen der Herzogin.
    »Mit dem berühmten Brügger Tuch könnt Ihr es nicht vergleichen, obwohl es für einfache Kleider sehr wohl geeignet ist. Es hält warm und sieht ordentlicher aus als die bunten Fetzen und Lumpen, die des Königs Söldner tragen.« Mittlerweile hatten sie die breite Treppe erreicht, die in den Hauptturm führte. Die Bewaffneten zu beiden Seiten des Eingangs rissen die Eingangstüre vor der Herzogin und ihren beiden Begleiterinnen auf.
    »Kommt mit mir«, befahl die Fürstin und gab Aimée keine Möglichkeit, die Aufforderung abzulehnen.
    Im breiten Gang vor dem Trakt des Herzogs herrschte bereits lebhaftes Kommen und Gehen. Höflinge, Ritter, Kuriere und Schreiber wichen respektvoll vor den Frauen zur Seite, zogen die Kopfbedeckungen und neigten sich zum Gruß. Aimée schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit.
    Lediglich ein Mann im dunklen Umhang war so auffallend, dass sie ihn wahrnehmen musste. Ihr Blick traf kurz den seinen.
    »Aimée! Wo bleibt Ihr?«
    Die Stimme der Herzogin klang fern. Erschüttert sah sie dem Mann nach, der nach einem knappen Nicken weitereilte. Sie war die Einzige, die auf Anhieb das Original von der Kopie unterschied.
    Was suchte der Venezianer in Male? Und warum hatte er ihr nicht den kleinsten höflichen Gruß gegönnt?

37. Kapitel
    B RÜGGE , 3. J ULI 1372
    »Es ist an der Zeit, dass du den Alten aus dem Hause schickst, Colard.«
    »Den Alten? Wen um Himmels willen meinst du damit, Gleitje?«
    Ihr Erscheinen im Kontor reizte Colard. Sosehr er Gleitjes schätzte, ihr Anblick war ihm keine Freude. Noch dazu, wenn sie so erkennbar wütend wie jetzt hereinstapfte.
    »Den alten Schreiber Joris meine ich natürlich. Er nimmt sich zu viel heraus. Wofür hält er sich? Er wollte mir verbieten, dich aufzusuchen.«
    Colard begegnete Gleitjes Forderung in bewährter Taktik. Er ging nicht darauf ein. Da sie so peinlich darauf bedacht war, Aimée gegenüber ihren Rang als Frau des Hauses zu wahren, gehörten derlei Beschwerden von ihr zur Tagesordnung.
    Gleitje schnaubte verärgert. Sie hatte nichts anderes von ihm erwartet. In ihren Augen war er ein Schwächling, eine Gliederpuppe, an deren Fäden sie zog. Aber immerhin hatte er seine Pflicht getan. Es fiel ihr schwer, die Genugtuung aus ihrer Stimme zu verbannen.
    »Ich bin gekommen, dir eine wichtige Neuigkeit zu bringen«, begann sie steif.
    »Ich höre.« Colard schlug das Auftragsbuch zu und schenkte Gleitje endlich die gewünschte Aufmerksamkeit. Ihre Neuigkeiten kamen meist aus dem Hause ihres Vaters, und er verdankte ihnen des Öfteren Hinweise, die seine Geschäfte förderten.
    »Das Haus Cornelis erhält einen Erben. Ich bin in der Hoffnung. Zum Weihnachtsfest wird man dich zu deinem Sohn beglückwünschen, dessen bin ich sicher.«
    »Das ist gut.« Colard nickte zufrieden, zeigte aber nicht den Überschwang, den Gleitje erwartet hatte.
    »Man könnte meinen, es ist dir gleichgültig«, beschwerte sie sich aufgebracht. »Ist dir nicht klar, was das bedeutet? Du musst endlich handeln. Sorg dafür, dass dein Sohn in geordneten Verhältnissen zur Welt kommt. Aimée Cornelis muss aus diesem Haus, aus Brügge verschwinden.«
    »Beruhige dich. Du wirst nur dem Kind schaden, wenn du dich so aufregst«, ignorierte Colard sie und führte sie zu dem Lehnstuhl, der normalerweise für wichtige Kunden reserviert war. »Natürlich bin ich hocherfreut. Ich erwarte aber auch, dass du auf dich achtest und dieses Kind nicht in Gefahr bringst.«
    Er musste bei seiner Mahnung plötzlich wieder an Aimées verhängnisvollen Sturz denken. Schwangere waren allgemein gefährdet, und er würde nicht zulassen, dass Gleitje ein Risiko einging. Eigentlich jedoch hätte Aimée dieses Kind zur Welt bringen sollen. Aimée, die ihn vor den Kopf gestoßen und seine wohlmeinenden Anträge abgelehnt hatte.
    »Mach dir um mich keine Sorgen«, antwortete Gleitje und faltete die molligen weißen Hände über ihrem Leib. »Ich kümmere mich um das Kind, und du kümmerst dich um das Geschäft. Wie steht es um die Lieferung

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