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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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einmal auf die ständig zunehmende Versandung des Zwins verwandte der Magistrat so viel Sorge wie auf die Feuerwache und die Feuerbekämpfung.
    In einer Stadt, in der ein großer Teil der ärmeren Viertel aus Holzhäusern bestand und nur die prächtigen Anwesen der Reichen mit Schieferdächern oder gar gefliest gedeckt waren, war das Feuer der größte Feind der Menschen.
    »Habt Ihr Frau Sophia noch immer nicht gefunden?«, schrie Gleitje die Männer an.
    Wenige Augenblicke später riefen Stimmen nach Colard. Sie hatten Sophia zwischen angekohlten Stoffballen und Fässern mit süßem Rheinwein entdeckt. Sie war auf dem gestampften Boden gelegen, und niemand konnte sagen, ob der Rauch oder der Sturz sie das Bewusstsein gekostet hatte.
    »Tragt sie ins Haus in ihr Gemach«, befahl Colard knapp, ehe er sich an Gleitje wandte. »Kümmere dich um sie und sieh nach, ob du in ihren Kleidern einen Schlüsselbund findest. Offensichtlich besitzt sie Schlüssel, von denen ich nichts wusste.«
    Gleitje gehorchte.
    »Johan«, wandte er sich an einen der Knechte. »Du greifst dir vier vertrauenswürdige Männer. Ihr bewacht das Lager, bis ihr morgen andere Befehle von mir erhaltet. Nur von mir. Niemand betritt den Speicher. Wir werden erst bei Tageslicht den vollen Umfang des Schadens feststellen können.«
    Erst als auch die Männer der Feuerwache das Haus Cornelis wieder verlassen hatten und das große Tor geschlossen worden war, ging Colard ins Haus zurück und unverzüglich in Gleitjes Schlafkammer. Er wies die Magd hinaus, die dort aufwartete.
    Gleitje wollte das Mädchen festhalten, entschied sich aber im letzten Augenblick dagegen. Colard erkannte die Zeichen des Unbehagens in ihrem Blick, und sein Verdacht verstärkte sich.
    »Wie geht es meiner Tante?«
    »Sie ist zu sich gekommen, aber sie redet unsinniges Zeug. Sie will Ruben zu Bett bringen und ihm ein Gutenachtlied singen. Ich weiß nicht, was so plötzlich in sie gefahren ist.«
    »Wirklich nicht? Was hast du mit dieser Brandstiftung zu schaffen, Gleitje?!«
    »Nichts! Gar nichts! Überhaupt nichts.«
    Die geradezu panische Reaktion war so untypisch für sie, dass sie einem Geständnis gleichkam. Sie hatte ein schlechtes Gewissen.
    »Was hast du getan?«
    »Ich habe geschlafen«, beteuerte Gleitje und deutete auf den Alkoven. »Erst der Lärm auf dem Hof hat mich geweckt. Der Feuerschein aus dem Lagertor. Ich bin nicht mit der Kerze unterwegs gewesen.«
    »Meine Tante ist seit Rubens Tod nicht richtig im Kopf, das stimmt«, antwortete Colard heiser. »Aber mit Ausnahme eines ersten verhängnisvollen Ausbruchs war sie all die Jahre zwar seltsam, aber völlig in ihre eigene Welt versponnen. Nie ging eine Gefahr von ihr aus. Die Wahnsinnstat von heute Nacht ist ihr nie und nimmer von selbst in den Sinn gekommen. In diesem Haus lebt nur noch ein Mensch, auf den sie hört, und das bist du. Du hast sie aufgehetzt. Hast du ebenfalls den Verstand verloren?«
    »Ich kann nichts dafür. Ich bin unschuldig!« Gleitje wich zum Bett zurück und umklammerte einen Pfosten des geschnitzten Alkovens. »Aimée ist schuld. Sie hat ihr die böhmischen Kerzenleuchter und das Kästchen mit den Perlen weggenommen. Sophia war außer sich. Ruben hat ihr sowohl die Perlen wie die Leuchter geschenkt. Es waren kostbare Erinnerungsstücke. Man hätte sie ihr nicht so einfach wegnehmen dürfen.«
    Colard rieb sich die angesengten Brauen und sank auf einen Hocker.
    »Sophia konnte nicht wissen, wie sie sich rächen soll, verflucht noch mal. Ich bin nur von verrückten Weibern umgeben. Du hast meine Tante vermutlich noch in dem Verdacht bestärkt, dass Aimée sich auf ihre Kosten bereichert hat, und sie angestiftet.«
    Gleitjes Züge sprachen Bände, und Colard fluchte noch lästerlicher als zuvor.
    »Ist dir klar, wie knapp wir dem totalen Verderben entronnen sind? Es war reiner Zufall, dass ich es aus dem Kontorfenster sah, wie meine Tante über den Hof schlich. Sie hätte uns die Lagerhallen und das Haus über dem Kopf angezündet. War es das, was du wolltest? Unsere endgültige und völlige Vernichtung? Bist du lieber eine Bettlerin, bevor du die Macht mit Aimée Cornelis teilst?«
    Gleitje war klug genug zu schweigen. Ihre Hände spannten sich verkrampft um das geschnitzte Holz des Bettpfostens. Noch nie hatte sie Colard so zornig erlebt. Würde er sie schlagen?
    Es war das Recht eines jeden Ehemannes, seine Frau zu züchtigen, und sie wusste, dass in diesem Falle nicht einmal ihr Vater ihr

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