Die Stunde des Venezianers
Beweis gestellt, dass er keine Skrupel kennt. Die toten Fuhrknechte sprechen für sich.«
»In Brügge herrschen Recht und Gesetz. Dem Tuchhändler sind die Hände gebunden, und Freunde hat er keine.«
Das sah Contarini anders. Er zog die Stulpen seiner Reithandschuhe über die Ärmel und bedachte seinen Partner mit einem mahnenden Kopfschütteln.
»Sein Reichtum verschafft ihm so viel Autorität, dass er keine Freunde benötigt. Unterschätzt Kortes Einfluss nicht. Was ihm fehlt, sind lediglich Tradition, ein guter Ruf und die wichtigen Beziehungen. All dies hofft er sich über das Haus Cornelis zu verschaffen, nur deshalb hat er seine unscheinbare Tochter an de Fine verheiratet. Seine Taktik liegt klar auf der Hand. Aimée Cornelis soll auf der ganzen Linie scheitern. Wenn sie am Boden liegt und de Fine als sein Strohmann eingreift, kann nicht einmal der Herzog etwas dagegen einwenden. Im Gegenteil. Korte und sein Schwiegersohn werden als Wohltäter dastehen, die einer hilflosen Frau in ihrer Not beistehen.«
»Aimée Cornelis wird nicht scheitern, schon gar nicht mit Eurer Hilfe«, protestierte Salomon.
»Sollte Kortes Taktik nicht aufgehen, wird er ihr nach dem Leben trachten. Er würde davor sicher nicht zurückschrecken, und deshalb wiederhole ich noch einmal dringlich meine Bitte, für ihre Bewachung zu sorgen. Im Übrigen solltet Ihr wissen, auch weil Ihr mir Frau Cornelis so sehr ans Herz legt, dass sie nicht für immer die Handelsherrin Cornelis bleiben wird.«
»Wieso nicht? Wer sollte sie daran hindern? Wenn wir Anselm Korte überführen können und das Geschäft mit den Uniformen erfolgreich ist, wird sie die reichste Frau Brügges sein.«
»Alain von Auxois wird sie daran hindern. Sie wird ihn heiraten und künftig ihre Aufgaben als Herrin seiner Burg und Mutter seiner Kinder wahrnehmen.«
»Das ist nicht wahr. Woher wollt Ihr das wissen? Wer ist dieser Mann überhaupt?«
»Er ist einer der Ritter Philipps des Kühnen. Allgemein geschätzt und bewundert. Eine absurde Laune des Zufalls will es, dass er eine frappierende Ähnlichkeit mit mir hat. Selbst ich könnte mich mit ihm verwechseln, wenn das möglich wäre. Ich weiß es von Frau Cornelis selbst, dass sie ihm ihr Wort gegeben hat.«
Der Sarkasmus Contarinis sprach für Salomon Bände. Das also war der Grund für den Missmut.
»Habt Ihr sonst noch Fragen?«, hörte er ihn spotten.
»Ein gegebenes Wort ist noch keine Verlobung«, wagte er nach einem kurzen Augenblick zu widersprechen. »Und die Sache mit dieser seltsamen Ähnlichkeit …«
Domenico unterbrach ihn mit einem freudlosen Lachen, eilte aus der Tür zu seinem bereitstehenden Pferd und sprang mit einem gewaltigen Satz in den Sattel. Er musste das Gespräch beenden, bevor er redselig wurde. Er hatte sich schon genug offenbart.
»Gebt Euch keine Mühe, mein Freund. Die Würfel sind gefallen. Passt auf sie und auf Euch auf. Wir sehen uns, sobald meine Mission die Rückkehr erlaubt.«
Salomon verabschiedete sich zögernd und öffnete mit eigener Hand das Hoftor. So vieles lag ihm auf der Zunge. Er fand sich damit ab, dass er es jetzt nicht loswerden konnte.
Niemand achtete auf den venezianischen Kurier, der über den Walplein jagte und die nächste Brücke zum Genter Tor ansteuerte. Männer wie er waren ein gewohnter Anblick in Brügge. Die Wache am Stadttor hielt ihn nicht auf.
Auf dem Dammweg, zwischen den Windmühlen, die für Brügge Korn und Öl mahlten, gab Contarini die Zügel frei und erlaubte sich, ein paar Flüche aus Venedigs Gosse auszustoßen.
Dass er sich so weit vergessen konnte, Aimée gegen jede Vernunft geküsst zu haben, setzte ihm ebenso zu wie die Wirkung, die dieser Kuss auf seinen Seelenfrieden ausübte. Zum Teufel. Sie war die Braut eines anderen.
44. Kapitel
B RÜGGE , 7. J ULI 1372
Colard ging im Morgenlicht durch das Warenlager, um das Ausmaß des Schadens zu überprüfen.
Der stechende Gestank nach Horn, so typisch für glimmende Wolle, lag noch immer penetrant in der Luft und legte sich auf seine gereizten Lungen. Hustend rang er nach Atem, während er die Knechte anwies.
»Das verbrannte Zeug bringt in die Unratgrube. Dann wird hier sauber gemacht.«
Er überhörte das Murren des Gesindes, das für den Tag des Bogenschützenwettkampfs andere Pläne hatte. Für das Haus Cornelis war dies kein Festtag. Sie konnten von Glück sagen, wenn er ihnen für das Wettschießen frei gab. Was das Feuer nicht zerstört hatte, war mit einer klebrig
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