Die Stunde des Venezianers
schwarzen Schicht bedeckt, die sich aus öligem Rauch und Staub zusammensetzte. Ob man sie mit Lauge entfernen konnte, würde sich erst zeigen.
»Wie schrecklich. Nicht einer der schönen Glasbecher hat das Unglück überstanden.«
Colard fuhr herum und fasste Gleitje ins Auge, die unter der Tür stand. Sie hatte sich stattlich herausgeputzt. An ihren dicken Fingern funkelten Ringe, und über dem ausladenden Busen bebten Goldketten. Eine breite Hörner haube, mit straff gezogenem Kinnband, schwebte einem Segelschiff gleich über ihrem Kopf.
»Das ist auch dein Werk«, erwiderte er gereizt. Er trat näher, drängte sie ins Freie und deutete mit dem Daumen über die Schulter, während er die Stimme dämpfte, damit die Knechte nichts hörten. »Hättest du deine Eifersucht nicht besser zügeln können?«
»Ich habe keine Ahnung, was du mir vorwirfst. Wie soll ich wissen, dass die Alte so verrückt ist. Sie drangsaliert die Mägde und verlangt, dass man nach ihrem Sohn schickt. Ich habe ihr gesagt, dass Ruben keine Zeit hat, dass sie sich gedulden muss. Die Alte ist doch vollkommen wirr im Kopf.«
Colard verzichtete auf eine Antwort und schnauzte stattdessen einen Knecht an, der einen rußigen Kerzenleuchter in den Unratschubkarren werfen wollte.
»Trottel, den kann man doch säubern. Das ist Silber. Tu ihn zu dem anderen Zeug.«
»Welch ein Jammer um all die Kostbarkeiten«, säuselte Gleitje in geheuchelter Verzweiflung. »Am besten lässt du die Leuchter und die Silberschalen in meine Kammer bringen. Ich weiß, wie man sie reinigen kann.«
Ihre Schmeichelei erzürnte Colard nur noch mehr. »Wohin bist du eigentlich so früh unterwegs und in solchem Staat? Ich hatte dir befohlen, bei Tante Sophia zu bleiben.«
»Ich gehe nur zur Frühmesse«, erwiderte Gleitje. Sie hob den flachen Korb hoch, damit Colard die Honigwachskerzen sehen konnte. »Ich habe dem Pfarrer der Liebfrauenkirche gestern diese Kerzen zugesagt. Soll er umsonst darauf warten? Das würde kein gutes Licht auf uns werfen.«
Colard wusste, dass sie log und dass sie nach der Frühmesse nicht nach Hause kommen würde. Er hatte ihr den Besuch des Bogenschützenwettkampfs verboten, aber sie würde sich hinter ihrem Vater verstecken, wie sie es immer tat. Anselm Korte hatte sie alle in der Hand. Wie sollte er das Gesicht wahren?
Ehe er eine Lösung fand, trat Aimée, von ihrer Kammerfrau begleitet, aus dem Haus. Auch sie trug ihre besten Kleider. Glänzender blauer Damast fiel bis auf ihre Fußspitzen. Ihr Schmuck bestand lediglich aus den gewohnten zwei Ringen und einer Schnur makelloser Perlen, einem goldenen Armband. Ein Spitzenschleier lag wie ein Hauch von Reif um das Dekolleté. Als sie sich näherte, sah er, dass die weiten Ärmel mit goldener Seide unterfüttert waren. Wie schön sie war.
»Einen guten Morgen wünsch ich, Colard«, sagte sie höflich, aber kühl. »Hast du schon einen Überblick über den Schaden?«
Colard betrachtete sie und versuchte ihre Gedanken zu lesen. Schmerzlich wurde ihm im unmittelbaren Nebeneinander der beiden Frauen bewusst, dass er mit einer Megäre verheiratet war, dass es Liebe war, die er für Aimée empfand, dass Liebe nicht ersetzbar war durch Vorteilsstreben oder Erfolg. Er empfand plötzlich aufkeimend einen tiefgründigen Hass gegen seine Frau. Die ganze Misere seines Lebens wurde ihm im Bruchteil eines Herzschlages bewusst. Worauf hatte er sich eingelassen? Er hatte Frauen begehrt und dabei nach Reichtum gesucht. Er hatte um Anerkennung gebuhlt und Liebe erwartet. Er hatte Liebe geben wollen, aber war er zur Liebe überhaupt fähig?
Was hatte er angerichtet! Er hatte immer das Beste für das Haus gewollt und sich dabei egoistisch in den Mittelpunkt gestellt, alle Ideale verraten und war dabei, zum Schurken zu werden. Wie sollte es weitergehen? Wie?
Gleitje entging sein wohlwollender Blick nicht. In ihrer Eifersucht mischte sie sich in das Gespräch.
»Der Schaden ist erklecklich. Wo warst du eigentlich gestern Abend? Wäre es nicht deine Aufsichtspflicht gewesen, den Brand zu verhindern?«
Aimée bedachte sie mit einem eisigen Blick, während Colard eingestand, dass er die genaue Höhe des Brandschadens nur schätzen konnte.
»Du scheinst dich auf das Schätzen verlegt zu haben, Colard«, antwortete sie spröde. »Auch deine Abrechnungen über die Verkäufe in Male sind leider nicht genau. Nach meiner Berechnung müsste der Erlös um einiges höher sein. Ich habe die Anfragen notiert, sie stehen
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