Die Stunde des Venezianers
denke, es wird ihr nicht so wichtig sein, wer mit ihr die Manufaktur aufbaut. Wir haben einen genauen Plan erstellt. Wollt Ihr Eure eigenen Fähigkeiten kleinreden und mir sagen, dass auch Ihr meine Unterstützung braucht?«
Salomon hatte Contarini bei dem Gespräch in die Augen gesehen. Es waren Augen, deren dunkler Glanz matt war, die keine Zuversicht ausstrahlten wie sonst.
»Sorgt Euch nicht. Ich werde alles in Eurem Sinne regeln.«
»Ich weiß.«
Eine eigenartige Stille entstand.
»Wie lange bleibt Ihr, wenn Ihr noch einmal nach Brügge kommt, und wann habt Ihr geplant, endgültig wieder nach Venedig zurückzukehren zu Eurer Familie?«
»Ich werde in Brügge bleiben.«
»Ihr bleibt in Flandern? Und Venedig? Eure Gemahlin? Das Kind? Werdet Ihr sie nach Brügge holen?«
»Nein.«
Salomon kränkten Contarinis knappe Antworten nicht. Sie hinderten ihn auch nicht daran, weitere Fragen zu stellen.
»Aber warum nicht? Was ist geschehen? Ihr lasst nicht einfach so die Familie im Stich. Was verbergt Ihr vor mir?«
Sie sprachen sich über alles aus, doch selten bis nie über Familiäres. Nur konnte Contarini mit dem, was er jetzt offenbarte, nicht ewig hinter dem Berg halten. Es schien ihm angebracht, Salomon wenigstens jetzt in aller Kürze zu unterrichten, bevor er es womöglich aus anderer Quelle erfuhr.
Dieser wartete geduldig auf eine Antwort.
»Es gibt weder Frau noch Kind«, antwortete Contarini schroff. »Catarina ist bei der Geburt unserer Tochter gestorben. Amabilis ist ihr zwei Monate später ins Grab gefolgt.«
»Gott der Allmächtige«, entfuhr es Salomon, ehe er den Kopf senkte und die Hände darüber zusammenschlug. »Welch ein übermenschliches Leid. Mutter und Kind. Die Frau verloren, so jung. Warum habt Ihr nicht früher darüber gesprochen?«
Salomon war zutiefst erschüttert.
Contarini schwieg.
Die Erinnerung an seine sanfte, kindhafte Frau, die ihn mehr gefürchtet als geliebt hatte, machte ihn unendlich traurig. Sie war wie er ein Opfer ihrer aus politischen Gründen geschlossenen Ehe gewesen. Sie hatten beide ihre Pflicht getan. Catarina hatte mit ihrem Leben bezahlt, und seine Tochter war nur ein Schatten geblieben, ein erinnerungsträchtiger Name auf einem Marmorblock. Dabei hatte er bei ihrer Geburt so sehr gehofft, wenigstens ihr die Liebe schenken zu können, die er seiner Frau nicht geben konnte.
»Weiß denn niemand von Eurem Leid? Habt Ihr Euch nicht wenigstens mit Frau Cornelis ausgesprochen?«, fragte Salomon.
»Niemand außer meiner venezianischen Familie weiß davon, und auch Ihr werdet es für Euch behalten, mein Freund.«
Alles in Salomon bäumte sich auf gegen ein solch unsinniges Verlangen. So sehr er den Schmerz seines Partners verstand, er war ein scharfer Beobachter, und er hätte blind sein müssen, um nicht zu bemerken, welch magische Anziehungskraft Aimée Cornelis von Anfang an auf Contarini ausgeübt hatte. Immer war er auf eine Weise auf sie eingegangen, hatte sie in allen ihren Vorhaben unterstützt, wie es sonst nicht seinem Wesen entsprach. Den Blick eines Bankiers hatte er dabei nicht verloren, aber er war nachgiebig wie nie, auch wenn ihre Pläne oft kühn, ja waghalsig waren. Sie wäre ihm als Frau eine gute Partnerin. Sie wäre nützlich für seine Geschäfte, wovon auch er profitieren würde.
Es war jedoch nicht allein der Profitgedanke, der ihn bei seiner Erwiderung im weiteren Gespräch mit Contarini leitete. Es war auch die Besorgnis um sein inneres Gleichgewicht. Ein Mann brauchte es, um erfolgreich zu sein. Musste er sich schämen, wenn sich in seinen Gedanken menschliche Anteilnahme und praktische Zuwendung mit Nützlichkeitserwägungen paarten?
»Das ist närrisch. Sie ist der Magnet, der Euch nach Brügge zurückgezogen hat und wieder zieht. Warum leugnet Ihr es? Es schmälert die Trauer um Eure Frau und Euer Kind nicht, wenn Ihr nach einem neuen Glück sucht.«
Contarini bedachte Salomon mit einem Blick, der jeden anderen in die Flucht geschlagen hätte. Der jedoch verschränkte lediglich die Arme vor dem Körper und hielt ihm stand.
»Mischt Euch nicht in Dinge, die Euch nichts angehen, mein Freund«, bekam er abweisend zu hören, worauf Contarini Anstalten machte, das Haus zu verlassen. Das geräuschvolle Quietschen der Hintertür hielt ihn ab. Beide sahen sie in die gleiche Richtung.
Der Hausknecht führte einen Besucher herein. In feinsten Florentiner Samt gehüllt, mit dem Lächeln eines Biedermannes im rot angelaufenen Gesicht,
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