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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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selbst haben müssen. Ausgerechnet eine Frau, der das Kriegshandwerk fremd sein muss, kommt zu einer segensreichen Erkenntnis, die manchem Soldaten in der Vergangenheit das Leben hätte retten können. Hoffentlich gelingt es Euch, den Zeitplan einzuhalten, um bis Sommerende liefern zu können. Es könnte entscheidend unseren Kampf beeinflussen.«
    »Davon gehe ich aus. Aber es ist nicht allein mein Verdienst, wenn es gelingt«, entgegnete Aimée ehrlich. »Ich habe die Unterstützung tüchtiger Männer. Sie haben bereits begonnen, die Manufaktur nach meinen Vorstellungen außerhalb des Bannkreises der Stadt Brügge aufzubauen. Das Bankhaus Contarini, vertreten von Abraham ben Salomon, ist mein Partner in diesem Geschäft.«
    Am Abend zuvor hatte sie sich mit ihm auf diese Sprachregelung geeinigt, da Contarini ausdrücklich verlangt hatte, seinen Namen nicht zu erwähnen. Eine Erklärung dafür hatte er nicht gegeben.
    »Die Bank des Messer Contarini scheint vielfältige Interessen in Brügge zu unterhalten«, erwiderte der Herzog nachdenklich.
    »Das Haus Cornelis hat schon bisher mit ihr zusammengearbeitet.«
    »Wie auch immer. Wir sind uns einig.« Philipp der Kühne unterzeichnete mit kratzender Feder Aimées ersten Auftrag.
    »Und nun lasst uns zum vergnüglichen Teil dieses Tages kommen. Ich bin gespannt, aus welcher Gilde in diesem Jahr der beste Bogenschütze Brügges kommt. Wie ich höre, herrscht traditionell Rivalität zwischen den Männern von Sankt Sebastian und Sankt Joris. Auf wen setzt ihr?«
    »Ich kenne weder die einen noch die anderen«, musste Aimée eingestehen. »Meinem Gefühl nachgehend, plädiere ich für Sankt Joris, denn einer meiner treuesten Mitarbeiter trägt ebenfalls den Namen des heiligen Joris.«
    »Ihr meint, einer Eurer Diener?«
    Aimée konnte das so nicht auf sich beruhen lassen. Dafür verdankten das Haus Cornelis und sie Joris zu viel.
    »Diese Bezeichnung hören die Männer nicht gerne, die in den Kontoren und Kanzleien der Stadt Dienst tun, Euer Gnaden«, widersprach sie. »Sie sind freie Bürger, die selbst entscheiden, für wen sie arbeiten, und die für ihre Arbeit angemessen entlohnt werden. Ein Handelshaus ohne tüchtige Schreiber und Kanzlisten kann nicht überleben. Ohne sie wäre Brügge nicht, was es ist.«
    »Ihr seid eine ungewöhnliche Handelsherrin mit ungewöhnlichen Ansichten«, sagte der Herzog. »Meine Ratgeber sagen mir andere Dinge über diese halsstarrigen Männer von Brügge.«
    Aimée wusste, dass sie schweigen sollte, aber sie brachte es nicht fertig. Sie sprach für Joris, für Salomon und für all die anderen Bürger, die ihren eigenen Wert kannten und nicht einsahen, warum sie vor irgendjemandem buckeln sollten. »Im Handel mit allen Nationen der Welt gelten in Brügge Handschlag und Wort eines aufrechten Mannes ebenso viel wie ein Siegel in Dijon. Es sind stolze Männer, die den Handel dort betreiben, Euer Gnaden.«
    Leises Klatschen aus dem Hintergrund belohnte die Worte. Die Herzogin trat unter einem Rundbogen in den Raum.
    »Eine flammende Verteidigungsrede für die Bürger von Brügge. Ihr seid eine mutige Frau«, lobte die Herzogin anerkennend. »Bewahrt die Worte im Gedächtnis, mein Gemahl. Das Wissen um diesen leicht verletzbaren Stolz wird es Euch einmal ermöglichen, ein zufriedenes Flandern zu regieren.«
    »Gnade. Von zwei Amazonen gleichzeitig in Bedrängnis gebracht zu werden ist zu viel für einen Mann. Was kann ich tun, Euch milder zu stimmen, meine Damen?«
    »Begleitet uns zum Fest. Man erwartet uns bereits«, erwiderte die Herzogin gelassen und nahm den Arm des Herzogs, während sich Aimée den wartenden Ehrendamen anschloss.
    Das Preisschießen der Bogenschützengilden fand auf dem Großen Markt von Brügge statt. Aimée hatte ihren Platz inmitten des Hofstaats auf der Ehrentribüne. Dankbar registrierte sie den Schatten des blau-weiß gestreiften Tuchdaches über den gepolsterten Bänken, denn die Sonne brannte mittlerweile mit voller Kraft. In ihrem geschwächten Zustand, nach einer schlaflosen Nacht, hätte sie die pralle Sonne kaum aushalten können.
    Das Gespräch mit dem Herzog jedoch war sehr zufriedenstellend verlaufen. Es war ihr nicht leichtgefallen, ihre Ängste zurückzustellen. Sie konnte mit ihrem Vorschlag nicht einfach so herausplatzen. Erst hatte sie das Vertrauen der Herzogin gewinnen müssen. Sie fühlte sich befreit von einem Druck, und das Gefühl, unter Menschen zu sein, die ihr wohlwollend gesinnt waren,

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