Die Stunde des Venezianers
noch!«, drohte sie.
Das Blut ernüchterte Colard, aber er wich keinen Zoll zurück.
»Rede endlich.«
»Frag meinen Vater«, trotzte sie verächtlich.
Ihre Drohungen waren der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Colard wuchs über sich hinaus.
»Das werde ich tun«, entgegnete er mit größter Ruhe. »Es ist an der Zeit, dass wir reinen Tisch miteinander machen. Dein Vater und ich. Wir gehen auf der Stelle zu ihm, und du wirst mich begleiten.«
Ehe Gleitje protestieren konnte, zog er sie aus der Wäschekammer. Er ließ ihr kaum Zeit, die blutbefleckten Kleider zu wechseln.
Der entschlossene Gesichtsausdruck seines Schwiegersohnes ließ Anselm Korte stutzen.
»Mitten am Tag solltest auch du Wichtigeres zu tun haben«, brummte er. »Kein Wunder, dass es so schlecht um deine Geschäfte bestellt ist, wenn du nicht mehr Fleiß an den Tag legst.«
Colards Entschlossenheit war nicht zu erschüttern. Er nahm seinen Schwiegervater scharf ins Auge.
»Es geht um ebendiese Geschäfte. Ihr schuldet mir den Erlös für die Waren unseres Handelszuges, der bei Reims überfallen wurde. Die vermeintlich englischen Söldner handelten in Eurem Auftrag.«
»Herrje, hat sie dir das etwa gesagt?«
Kortes Blick flog zu seiner Tochter, die ihn völlig verängstigt anstarrte.
Colard verneinte mit einem Kopfschütteln.
»Das war nicht nötig. Ganz Brügge redet über Conzetts Geschäftserfolg, der erstaunlicherweise genau jenen Waren zu verdanken ist, die das Haus Cornelis auf so verbrecherische Weise verlor.«
»Dummes Geschwätz«, brauste Korte auf. Seine Halsadern schwollen an.
»Das wird sich herausstellen, wenn Ihr vor dem Zunftrat Rechenschaft ablegen müsst. Ich werde dort Anklage gegen Euch vorbringen.«
»Himmeldonnerwetter, was soll diese Narrenposse? Für wen hältst du mich, Colard de Fine? Du wirst es doch nicht etwa mit mir aufnehmen wollen. Ich habe dich gekauft, mäßige gefälligst deinen Ton. Ich bin ein unbescholtener Kaufmann.«
»Der fremde Warenzüge überfallen lässt und heimtückische Mordanschläge in Auftrag gibt. Ihr wisst, dass die Zunftoberen schon lange auf eine Gelegenheit warten, mit Euch abzurechnen.«
»Das reicht!« Donnernd hieb Korte mit der Faust auf den Tisch, dass die Schreibfedern hüpften und ein Block Siegelwachs zu Boden fiel. »Du scheinst vergessen zu haben, dass ich dich in der Hand habe. Die Frachtpapiere der Koralle liegen hier, in dieser Truhe. Ein falsches Wort, und der Graf von Flandern lässt dich aufs Rad flechten.«
»Und meine schwangere Frau dazu. Das würdet Ihr Eurer einzigen Tochter nicht antun.«
»Da sei dir nicht so sicher.«
»Ihr habt eine Grenze überschritten, die kein ehrlicher Christenmensch überschreiten sollte, Anselm Korte«, sagte er hart. »Die toten Fuhrknechte von Reims klagen Euch ebenso an wie das hinterhältige Attentat auf Aimée Cornelis. Es ist an der Zeit, dass man Euch Einhalt gebietet.«
»Zur Hölle …«
Der brüllende Tuchhändler unterbrach sich. Ein Hausknecht war unter dem Türbogen erschienen und wartete, dass er angesprochen wurde.
»Was willst du, Jaak?«
»Die Waffenknechte sind gekommen, die Ihr in den Dienst genommen habt, Herr. Wohin soll ich …«
»Das sage ich ihnen selbst.« Korte fuhr zu Colard und Gleitje herum. »Ihr wartet gefälligst hier, bis ich wiederkomme.«
Er eilte mit wehendem Gewand hinaus. Colard verschränkte die Arme und versuchte sich zu beruhigen. Seine Frau lehnte an der Wandtäfelung und biss nervös an einem Daumennagel. Das leise Knacken blieb lange Zeit das einzige Geräusch im Kontor. Auf einmal fuhr sie zusammen. Hatte sie etwas gehört, das ihm entgangen war?
»Wieso dauert das so lange?«, fragte sie mit ängstlicher Stimme und suchte seinen Blick.
Beiden kam im selben Moment der gleiche Gedanke. Sie liefen so hastig aus dem Raum, dass sie sich dabei gegenseitig anrempelten.
Gleitje kannte den Weg besser. Sie trat als Erste in den Hof mit den Lagerschuppen und Ställen, der auf der gegen überliegenden Seite von der Groenerei begrenzt wurde. Gerade sah sie noch eine schwarz gekleidete Gestalt, die mit einem Satz in ein Boot sprang und sich mit eiligen Ruderschlägen absetzte.
Beunruhigt blickte sie um sich. Der quadratische Platz, mit unregelmäßigen Flusssteinen gepflastert, zwischen denen vereinzelte Grashalme wuchsen, war völlig leer. Der Haken am Seil des Ziehbrunnens schwang leise quietschend im Wind. Keine Spur von irgendwelchen Waffenknechten oder Anselm
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