Die Stunde des Venezianers
könnt gewiss sein, dass ich mein Möglichstes tun werde, alles aufzudecken. Erst danach kann ich den Namen des Auftraggebers nennen, um ihn anzuklagen. Alles andere würde Aimée Cornelis nur noch mehr in Gefahr bringen.«
»Ihr wollt ihre Feinde in Sicherheit wiegen.« Sie durchschaute seine Taktik. »Womöglich wollt Ihr sogar, dass verbreitet wird, es bestünde keine Hoffnung für Aimées Überleben? Lieber Gott, ich wünschte, ein solches Gerücht wäre nicht so nahe an der Wahrheit.«
Es klang so verzweifelt, dass Salomon einen ungewöhnlichen Vorschlag wagte.
»Erlaubt mir, einen Arzt meines Volkes zu ihr zu bringen«, bat er. »Er hat die Kunst der Medizin in Salerno und Montpellier studiert und kennt den menschlichen Körper wie kein zweiter.«
»Tut das«, nickte die Herzogin. »Ich bin bereit, alles für sie zu wagen, auch wenn es ungewöhnlich ist. Unter den gegebenen Umständen gebietet es die Vorsicht wohl sicher, dass ich die weitere Sorge um Aimée nicht ihrer Familie überlasse. Ich hatte es vor, denn ich werde meine Mutter auf Schloss Regnault besuchen. Sie erwartet mich in den nächsten Tagen.«
Abraham wusste wie alle anderen, dass Margarete von Brabant, die Mutter der Herzogin, im vergangenen Jahr von ihrem Gemahl, dem Grafen von Flandern, verbannt worden war. Die Gerüchte wollten wissen, dass die Gräfin nicht länger bereit gewesen war, die ständige Untreue ihres Gemahls mit guter Miene zu ertragen.
»Vertraut mir die Obhut über Frau Aimée an. Ich werde alles für sie tun, was möglich ist. Ich hätte diesen Anschlag … verhindern müssen. Ich trage die Verantwortung für das Unglück.«
»Beruhigt Euch.« Die Herzogin unterbrach seine bitteren Worte. »Wir machen sie nicht wieder gesund, indem wir über Geschehenes lamentieren. Ihr löst ein Problem für mich, wenn Ihr Aimées Pflege überwacht. Sie hat Euren Namen als den eines Mannes genannt, dem sie vertraut, also denke ich, auch in ihrem Sinne zu handeln.«
Salomon verneigte sich, um seine Bewegung zu verbergen. Zu hören, dass Aimée seine Wertschätzung erwiderte, vertiefte nur seinen Kummer darüber, dass er sie nicht vor dem Anschlag bewahrt hatte.
»Es wäre gut, wenn wir sie aus der Stadt bringen könnten, so dass sie an einem ruhigen Ort genesen kann, ohne erneut in Gefahr zu geraten«, schlug er vor.
»Ich werde Weisung geben, dass man Euren Anordnungen folgt«, stimmte die Herzogin zu. »Ich verlasse die Stach umgehend. Mein Gemahl bangt um meine Sicherheit.«
Salomon nickte verständnisvoll, obwohl er sicher war, dass die Bürger von Brügge weder daran dachten, die Herzogin als Geisel zu nehmen, noch, den Herzog zu ermorden.
»Euer Gnaden, ich danke Euch für das Vertrauen«, verabschiedete er sich.
»Ich weiß, Ihr werdet es nicht enttäuschen.«
»Lasst ihn. Er weiß, was er tut«, hielt Salomon Lison zurück. Sie wollte nicht zulassen, dass der jüdische Arzt die Kranke berührte. »Wenn ihr jemand helfen kann, dann ist er es.«
»Aber der Medicus des Herzogs …«, begehrte sie auf.
»Der Medicus des Herzogs ist am Ende seiner Weisheit«, vervollständigte Salomon den Satz für sie. »Vertraut Doktor Nathan Simonides.«
Aimée war ein Schatten ihrer selbst. Sie lag auf weißem Linnen, ihre Wangen glühten im Fieber, der Oberkörper war in mehrere Schichten von Leinenbinden gehüllt. Sie bewegte sich unruhig, obwohl sie die Augen geschlossen hatte und sichtlich um jeden Atemzug kämpfte.
Über den Kopf Lisons hinweg tauschte Salomon einen Blick mit Nathan Simonides. Das kaum merkliche Kopfschütteln des Arztes legte sich wie Frost auf sein Gemüt.
»Wird sie gesund?«, stellte Lison die Frage, die auch ihn bewegte. Sie erhielten beide nicht die erhoffte Antwort.
Nicht einmal Nathan Simonides wollte Aimées Überleben versprechen.
»Wenn es Gott gefällt«, murmelte er schließlich und strich sich sinnend über den schneeweißen Bart, der seine Brust bedeckte.
Lison bekreuzigte sich abergläubisch. Wie sollte der Gott der Christen Aimée helfen, wenn sie sich einem Juden anvertraute?
»Gott ist nicht so kleinlich, wie ihr denkt«, sagte dieser leise und sah Lison erröten. »Wird ihre Familie es zulassen, dass Ihr sie in mein Haus bringt, Freund Abraham?«, erkundigte er sich dann. »Sie muss Tag und Nacht unter Beobachtung sein.«
»Tut, was Ihr für nötig haltet, Nathan. Nur sie ist wichtig.«
Der Mann lag mit verrenkten Gliedern neben einem Unrathaufen. Das Gewebe seiner kostbaren Kleidung
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