Die Stunde des Venezianers
könnt.«
Contarini schwieg düster und strich sich die feuchten Haarsträhnen an den Schläfen zurück. Eine Geste der Ratlosigkeit, wie Salomon wusste.
»Ich ahnte, dass sie in Gefahr ist, aber mit einem solchen Anschlag habe ich nicht gerechnet«, gestand er schließlich bedrückt.
»Auch ich habe die verbrecherische Energie Kortes unterschätzt und mache mir deshalb die schlimmsten Vorwürfe. Korte hat darauf spekuliert, dass der Schütze in diesem Tumult unentdeckt bleibt, zumal sich natürlich zunächst alles um den Herzog drehte. Jeder musste davon ausgehen, dass der Schuss ihm galt. Aimée stand unter den Mitgliedern des Hofes und war so eng von Menschen umgeben, dass sie nicht einmal zu Boden stürzte. Sie verlor in den Armen eines Gildevorstandes das Bewusstsein. Da ein fehlgeschlagener Mordanschlag auf den künftigen Regenten von Flandern für Brügge eine Katastrophe gewesen wäre, vertuschte man den Anschlag eilig und stellte alle darauf zielenden Vermutungen als Fehleinschätzung hin.«
Contarini legte Salomon die Hand auf die Schulter.
»Ihr solltet Euch keine Gewissensbisse machen. Ein solcher Meuchelmord hätte auch mich unvorbereitet getroffen. Wie ist es gelungen, Aimée in der ganzen Aufregung in Sicherheit zu bringen?«
»Dem Anschein nach ist die Herzogin wieder in der Hoffnung. Man hatte einen Tragstuhl für sie bereitgestellt, falls ihr die Hitze zusetzt und sie einen Schwächeanfall erleidet. In ihrem Stuhl brachte man Aimée in den Prinsenhof, wo der Medicus des Herzogs sie sofort behandelt hat.«
Contarini benötigte alle Beherrschung, um sein Entsetzen zu verbergen. Er atmete tief durch. Angst trübte seine sonst so ausgeprägte Fähigkeit zu besonnenem Handeln. »Wie bewältigt sie das alles?«, fragte er, nachdem er sich etwas beruhigt hatte.
»Das Erlebnis setzt ihr schwer zu«, antwortete Salomon und hatte das Bild der blassen Aimée auf dem Tragstuhl vor Augen. »Sie ist erschüttert, dass ihre Feinde zu solchen Mitteln greifen, aber sie würde nie zugeben, dass sie sich fürchtet.«
Salomon bestätigte nur, was Contarini dachte. Ihre Furchtlosigkeit würde diese Frau noch umbringen.
»Ihr habt hoffentlich alles getan, um den Schuldigen zu entlarven? Wen hat Korte angeheuert, diesen Schuss zu tun?«
»Allem Anschein nach seinen Neffen Klaas. Er ist sein Helfershelfer in allen schmutzigen Geschäften. Zudem ist er Mitglied der Bogenschützengilde von Sankt Sebastian. Ein guter Schütze, aber ein liederlicher Bursche. Sie haben ihn vom Wettbewerb ausgeschlossen, weil er die Zunftregeln verletzt hat. Er ist sich für keine Schurkerei zu schade, wenn sie nur gut entlohnt wird.«
»Ich werde ihm den Hals umdrehen, und Korte dazu«, knurrte Domenico, und für einen kurzen Augenblick loderte solcher Zorn in seinen Augen, dass sogar Salomon erschrak.
»Bei Korte müsst Ihr Euch nicht mehr bemühen. Man hat ihm die Kehle durchgeschnitten, und nicht nur ihm.«
Die Einzelheiten der unheimlichen Mordserie entlockten Contarini nur noch ein Kopfschütteln.
»Wie es aussieht, ist Korte seiner eigenen Niederträchtigkeit zum Opfer gefallen. Immerhin, das Schicksal ist gerecht. Eure Vermutung trifft sicher zu, dass hier systematisch die Mitwisser eines üblen Geschäftes beseitigt werden. Korte hat sich mit Mördern eingelassen, die eine Nummer zu groß für ihn waren. Ihr sagt, man hat seinen Mörder noch nicht gefasst?«
»Weder ihn noch Klaas Korte, obwohl beide inzwischen vom Statthalter des Grafen und vom Stadtbüttel gesucht werden. Wahrscheinlich hatte sich Klaas im Hause seines Onkels versteckt und ist nach dessen Tod untergetaucht. Auch der Hausknecht Jaak, der Korte nach Aussage seiner Tochter in den Hof hinausgelockt hat, ist seitdem verschwunden.«
Contarini griff zum Weinbecher, starrte aber lediglich hinein. Alles drängte ihn nach Rache an dem heimtückischen Bogenschützen.
»Meine Agenten sind Klaas auf den Fersen. Die letzte Nachricht ist, er habe sich bei einer Hure versteckt, die ihre Kunden am Minnewaterhafen sucht. Morgen werde ich mehr erfahren. Eines ist jedoch sicher, Klaas Korte kann Brügge nicht verlassen. Die Torwachen würden ihn erkennen, und auch im Hafen hat die Stadtwache ein strenges Auge auf auslaufende Lastkähne und andere Boote.«
»Dann werde auch ich mich bis morgen gedulden müssen. Aber zuerst muss ich Aimée sehen. Ich möchte mich mit eigenen Augen von ihrem Zustand überzeugen.«
»Ihr müsst Euch nicht um sie sorgen«, beruhigte ihn
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