Die Stunde des Venezianers
Kontrolle zu behalten, wenn man an ihm saß.
»Was kann ich für dich tun, mein Lieber?«
In der leicht dahingesagten Frage schwang mehr als freundschaftliches Interesse mit. Für ihn wäre sie gerne ihrem Schwur untreu geworden, sich nie wieder mit einem Mann einzulassen. Woran es wohl lag, dass ihre Anziehungskraft ausgerechnet bei ihm versagte?
Ihr wesentlich älterer Ehemann, Meister Joseph, war eines Morgens stockbetrunken an der Waterhalle in die Reie gestürzt. Viele Stunden später hatte man ihn aus dem Wasser gefischt. Trina hatte angemessen lange um ihn getrauert und sich in ihrem Witwenstand eingerichtet, obwohl es ihr nicht an Bewerbern fehlte.
»Erzähl mir, was du von Gleitje Korte weißt«, bat Colard kurz angebunden.
»Heilige Mutter Gottes. Denkst du etwa daran zu heiraten?«
»Und wenn dem so wäre?«
»Dann solltest du dir nicht ausgerechnet den Augapfel von Meister Korte aussuchen. Gleitje. Ich bitte dich. Bist du närrisch?«
»Sie hat eine gewaltige Mitgift.«
Trina blies die vollen Wangen noch runder auf und wischte sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. Ihr beachtlicher Busen war ebenso verführerisch wie das fröhliche Zwinkern ihrer lichtblauen Augen. Sie schüttelte verächtlich den Kopf mit der sauberen Flügelhaube.
»Gleitje ist ein verwöhnter Fratz, und sie sieht aus wie der Inhalt eines Butterfasses. Blass, fett und langweilig. Nur ein verzweifelter Mann nimmt sich eine solche Jungfer. Ist das wirklich dein Ernst, Colard de Fine?«
»Es geht nicht um mich.«
Colard nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierkrug und wischte sich die Lippen mit dem Handrücken ab. Trina war nicht nur fröhlich und gescheit, sie besaß auch einen gesunden Menschenverstand. Sie begriff sofort und brach in schallendes Gelächter aus.
»Ruben? Er ist Brügges goldener Prinz. Jedes Mädchenherz schlägt für ihn. Er hat freie Wahl unter den Schönsten.«
»Auch Prinzen werden Männer, die beim Heiraten bedenken müssen, wen sie heiraten. Besonders wenn sie schlichte Kaufleute sind.«
»Aber Prinzen heiraten keine Gleitjes. Colard – wer hat sich das wohl ausgedacht, deine Tante Sophia? Sie denkt nur an Geld.«
»Gleitjes Mitgift wird Ruben über ihre mangelnde Schönheit hinwegtrösten.«
Trina runzelte die Stirn. Sie begriff, dass es ihm tatsächlich ernst war.
»Wenn ihr euch nur nicht täuscht. Ruben mag zugänglich erscheinen, aber er hat seine eigene Art zu tun, wonach ihm der Sinn steht. Er lässt sich zu nichts zwingen. Warum soll er heiraten. Hat das Haus Cornelis finanzielle Schwierigkeiten? Ist etwas dran an den Gerüchten, dass die Engländer als Reaktion auf die Hochzeit der Grafentochter ein neues Wollembargo planen?«
»Uns fehlt es in diesen Tagen nicht an der Wolle, sondern an fertigem Brügger Tuch«, umging Colard die direkte Antwort. »Die Stoffhändler aus Florenz und Prato laufen uns die Tuchhalle ein. Auch das Haus Cornelis könnte wesentlich mehr hochwertige Gewebe verkaufen, aber die Lager sind fast leer. Die Weber zu schnellerer Produktion zu drängen ginge auf Kosten der Qualität. Billiges Tuch wollen die Herren aus der Toskana nicht, das produzieren sie selbst.«
»Solange eure Zunft nur den Verkauf von Stoffen erlaubt, die in Brügge hergestellt und gefärbt wurden, müsst ihr mit diesen Problemen leben. Es sind zu viele Weber an der Pest gestorben.«
Die junge Wirtin hielt Colards düsterem Blick ungerührt stand. Sie ahnte, dass es um sein Handelshaus schlimmer stand, als er zugeben wollte.
»Die englische Hochzeit wäre vielleicht für Flandern besser gewesen«, sagte sie aus ihren Gedanken heraus.
»Wer sagt das? Die Kranmänner, die bei dir einkehren?« Trina nickte, und Colard schnaubte verächtlich.
»Sie denken nicht über den Hafenkai von Brügge hinaus. Es ist gut, dass die Erbin des Grafen von Flandern den Herzog von Burgund geheiratet hat. Hätte sie den Engländer gewählt, wären wir zum Kriegsschauplatz geworden. Frankreich würde nicht hinnehmen, dass der englische König auf unserem Festland noch mächtiger wird. Und was ein Krieg bedeutet, muss ich dir sicher nicht sagen.« Trina winkte einer Magd, Colards Krug neu zu füllen. Sie lehnte sich bewusst nach vorn und bot ihm einen verlockenden Blick in ihr Mieder. Er sah nicht einmal hin. Die Augen über ihre Schulter hinweg auf den Schankknecht gerichtet, der soeben ein neues Fass auf den Ständer wuchtete, war er mit seinen Gedanken sehr weit weg.
»Du bist also der Meinung, dass
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