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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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Gewürzbieres, das er in reichlichen Mengen zum Frühstück zu sich genommen hatte. »Wann erwartet Ihr Euren jungen Vetter aus Gent zurück? Oder ist er gar bereits eingetroffen?«
    »Wir rechnen dieser Tage mit ihm. Geht es um Geschäfte? Dann kann ich Euch ebenso gut zu Diensten sein.«
    Anselm Korte war ein Mann von Einfluss und Gewicht in Brügge, aber Colard hatte von jeher Mühe gehabt, seine Abneigung gegen ihn zu verbergen.
    Seine Leutseligkeit kam ihm falsch und aufgesetzt vor. Seine Kleider, obwohl aus kostbarsten Stoffen, zogen stets zu viele Falten über der massigen Gestalt und wiesen auf der Vorderseite Spuren seiner letzten Mahlzeit auf. Zu beiden Seiten einer hängenden Nase blickten tief eingegrabene, erdbraune Augen auf Colard.
    Das vermeintlich gutmütige Lächeln entblößte braungelbe Zahnstümpfe, und eine Samtkappe saß schräg auf dem kahlen Schädel.
    »Ich habe mit Eurem Vetter schon anlässlich der Zunftfeier nach der Heilig-Blut-Prozession am Himmelfahrtstag gesprochen«, kam Korte ohne Umschweife zur Sache. »Er wollte mir Bescheid geben. Es ist an der Zeit, dass er sich äußert, sobald er wieder da ist. Er ist nicht der Einzige, den ich für meine Gleitje ins Auge gefasst habe.«
    »Eure Gleitje?«
    »Zum Donner, stellt Euch nicht so dumm, de Fine. Ich spreche von meiner einzigen Tochter. Im Oktober wird sie fünfzehn, und es ist an der Zeit, ihr einen Ehemann zu suchen. Sie hat sich Euren hübschen Vetter in den Kopf gesetzt und liegt mir ständig in den Ohren, dass sie ihn und keinen anderen will. Wenn Ruben jedoch noch länger auf ein Wort warten lässt, dann ist es vorbei mit meinem guten Willen. Er ist nicht der einzige Kandidat.«
    Gleitje Korte. Ruben hatte keine Silbe davon gesagt, dass ihm der Alte die Hand des Mädchens angetragen hatte. Korte war der reichste Tuchhändler der Stadt, und dass er nicht als Zunftmeister allen anderen vorstand, lag allein daran, dass er mit vielen in ständigem Streit lag. Von unangenehm cholerischem Temperament, neigte er dazu, wegen Kleinigkeiten aus der Haut zu fahren.
    »Ich werde mit Ruben reden, sobald er zurück ist«, sagte Colard zu, nachdem er sich gefasst hatte.
    »Sagt Eurem Vetter, dass ich mit einer Hochzeit zum Erntedankfest rechne. Gehabt Euch wohl.«
    Colard murmelte einen Gruß und schaute dem Alten nach, der mit dem gemächlichen Gang eines Mannes davontappte, der sich seines Gewichtes und seiner Bedeutung bewusst ist. Eine Ehe mit der Tochter von Korte wäre womöglich eine nützliche Verbindung, ging es Colard durch den Kopf.
    Im großen Hof vor der Tuchhalle blieb er stehen, holte tief Luft und sah sich um, als hätte er die Seitentrakte, die dem mächtigen Backsteinbau erst vor vier Jahren angefügt worden waren, noch nie erblickt. Der Belfried, wie man in Flandern die gewaltigen Glockentürme nannte, ragte über ihm in einen Himmel, der, von wenigen weißen Wolken getupft, Fortdauer des trockenen Wetters versprach. Zum ersten Mal seit Tagen registrierte er die sommerliche Wärme. Die Sonne hatte einen Namen bekommen. Gleitje Korte. Ihre Mitgift würde die Medizin sein, die das Haus Cornelis wieder gesunden ließ. Colard schlug pfeifend die Richtung zur Waterhalle ein, an der alle Schiffe anlegten, deren flacher Tiefgang es erlaubte, bis in das Herz von Brügge zu fahren. Man nannte sie auch die Lakenhalle, weil dort das Wolltuch verladen wurde, das Brügges Ruhm und Reichtum als Handelszentrum begründet hatte, ehe Krieg und Pest die Gewinne in den letzten beiden Jahrzehnten auf tragische Weise vermindert hatten.
    An der Landseite des überdachten Kanalhafens, unter den Arkaden, priesen die Fisch- und Muschelhändler wortgewaltig ihre Waren an. Colard versuchte sowohl dem Fischgestank wie dem Lärm schnell zu entgehen. Er steuerte zielsicher die Schankstube Zum Wollsack an.
    Das kleine Wirtshaus erfreute sich großer Beliebtheit. Ein Umstand, der sicher auch darauf zurückzuführen war, dass es von einer höchst appetitlichen jungen Wirtin geführt wurde.
    »Du lässt dich selten bei deinen Freunden sehen«, empfing Trina ihn mit einem Lächeln und einem Tadel zugleich.
    »Du weißt, dass es nicht meine Art ist, den Tag damit zu verbringen, den Boden eines Bierfasses zu suchen«, erwiderte er trocken. »Heute kann ich jedoch einen Krug vertragen. Willst du dich zu mir setzen, Trina?«
    Er deutete auf einen kleinen rechteckigen Holztisch direkt neben dem Eingang zur Küche, der es erlaubte, Mägde und Gäste unter

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