Die Stunde des Venezianers
verhaltener Genugtuung. »Meine Großmutter möchte, dass ich einen Mann heirate, dem ich ehrlich zugetan bin.«
»Tatsächlich? Wie ungewöhnlich.«
»Meine Großmutter ist ungewöhnlich.«
»Und bisher ist es keinem Mann gelungen, Euch den Ehestand schmackhaft zu machen? Verratet mir, wie der junge Mann aussehen soll, dem Ihr Euer Herz schenkt«, setzte die Herzogin das Gespräch fort. »Etwa wie unser goldener Adonis, der Handelsmann aus Brügge?«
Aimée brachte keine Antwort über die Lippen. Die Herzogin lächelte zufrieden und fuhr mit ihren Spekulationen fort.
»Ruben Cornelis hat alles, was einer Frau gefällt, und er wird es weit bringen«, zählte sie auf. »Sein Auftreten und sein Reichtum sind in dieser Zeit mehr wert als eine zerbröckelnde Burg und Dörfer, die die Pest entvölkert hat. Der Großteil des Adels ist damit geschlagen und sucht so im Falle einer Heirat nach einer Partie mit einer rettenden Mitgift. Besitzt Ihr einen solchen Brautschatz, Aimée von Andrieu?«
»Mein Erbe sind die Ländereien von Courtenay, aber sie haben ebenfalls unter der Pest gelitten.«
Aimée gefiel es immer weniger, dermaßen ausgeforscht zu werden. Sah man ihr an, dass ihre Gedanken um Ruben kreisten? Weshalb pries die Herzogin seine Vorzüge so unverblümt? Hatte jemand ihr Zusammentreffen im Burggarten beobachtet?
»Somit wäre ein Gemahl, der reich genug ist, um nicht auf Eure Mitgift angewiesen zu sein, ein wahrer Glücksfall für Andrieu, nicht wahr?«, stellte die Herzogin jetzt nüchtern fest.
Aimée wich einer direkten Antwort geschickt aus. Ihre Gefühle für Ruben Cornelis waren viel zu neu, zu ungeordnet, um an Ehe zu denken.
Der Beginn des Festes, von Fanfarenklang verkündet, rettete sie aus dem zunehmend unangenehmen Gespräch. Man brach auf, und sie nutzte das Gedrängel, um sich möglichst weit hinten im Zug der Hofdamen einzuordnen. Das unerwartete Interesse der Herzogin an ihrem persönlichen Schicksal gab ihr zu denken.
Die gewaltige zweischiffige Halle des Gravensteen stammte noch aus der Normannenzeit und prangte in festlichem Schmuck. Blumengirlanden verkleideten die gedrungenen Säulen.
Der Weg der Herzogin und ihrer Damen war mit Rosenblättern bestreut. Ein Meer von Kerzen und Fackeln verbreitete Licht und Wärme. Ihr Duft mischte sich mit dem der Rosen und den vielfältigen Aromen, die aus den Festkleidern der Menschen aufstiegen. Die betäubende Atmosphäre lenkte Aimée von den eigenen Problemen ab. Sie wusste, dass Herzog Philipp all diesen Glanz entfaltete, um die Flamen zu beeindrucken. Er wollte sie nicht gewaltsam an Frankreichs Seite zwingen, sondern in ihnen den Wunsch wecken, Teil dieser Macht und dieses Wohlstands zu sein. Auch die verschwenderischen Geschenke und die Versicherungen gegenseitiger Freundschaft dienten allein diesem Zweck.
Schon deswegen wird er niemals die Genter verärgern, ging es ihr durch den Kopf, während sie die stolzen Räte, Schöffen und Honoratioren der Stadt beobachtete. Rubens Blick glitt über die Festgäste, und Aimée fand sich jäh im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Sie spürte, wie sich ihre Wangen röteten.
Es kostete sie einige Kraft, seinem Blick standzuhalten. Ihm auszuweichen wäre einem Eingeständnis von Verlegenheit und Betroffenheit gleichgekommen. In steigendem Trotz straffte sie die Schultern und reckte das Kinn. Der Herzog, der Aimée fest im Auge hatte, registrierte den Blickwechsel, und seine ohnehin schon spöttisch erhobenen Brauen gingen fragend höher. Kein Lächeln begleitete den Blickkontakt mit ihr. Aimée atmete auf, als er sich wieder den Gentern zuwandte. Sie fröstelte trotz der unbestreitbaren Wärme im Saal und sah sich wieder nach Ruben um. Wo war er?
Sie fand die Gruppe der Gäste aus Brügge ganz in ihrer Nähe. Argwöhnisch beobachtete sie die Ehren, die den Gentern zuteil wurden. Ruben wirkte heiter und gelöst. War er sich ihrer Hilfe so sicher? Oder was löste diese Fröhlichkeit aus?
Würde sie beim Herzog etwas bewirken können? Keine Frau hatte das Recht, sich in politische Entscheidungen einzumischen. Wie würde er darauf reagieren, dass sie die Partei eines Tuchhändlers aus Brügge ergriff. Je länger der Empfang fortschritt, desto schwerer lastete die Zusage auf ihr, die sie Ruben gegeben hatte.
Bis sich der Hof zur Tafel begab, die im Stockwerk über der Normannenhalle im Festsaal des Grafenhauses wartete, war sie so nervös, dass sie nicht einmal die Schönheit des Gewölbes würdigte. An
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