Die Stunde des Venezianers
Flandern den Franzosen vertrauen sollte«, sagte sie leicht verärgert und verschränkte die Arme unter dem Busen. Dass Colard nur erschienen war, um sich bei ihr Informationen über Gleitje Korte zu holen, trübte ihre Stimmung.
»Es bleibt uns gar nichts anderes übrig.« Colard lehnte den neuen Krug ab und erhob sich vom Tisch. »Ich muss gehen. Hab Dank für deine Gastfreundschaft, Trina.«
Er wusste, dass er sie enttäuschte. In seine Überlegungen vertieft, achtete er kaum auf die Grüße, die ihm auf seinem Heimweg entboten wurden. Er überquerte den großen Marktplatz und ging in eine der schmalen Brandgassen. Nach einer Weile fiel ihm auf, dass seine Schritte von denen eines anderen Mannes begleitet wurden.
Er fuhr herum und fand sich einer gebeugten Gestalt im verschlissenen Rock gegenüber. Seine Kleidung nahm er weniger wahr. Auffallend war der spitze Hut. Sein ursprüngliches Gelb war zu schmutzigem Ocker vergilbt. Er verriet, dass er es mit einem Juden zu tun hatte.
Es gab nicht mehr viele Juden in Brügge. Man hatte sie auch hier für das Wüten der Pest verantwortlich gemacht. Die wenigen Familien, die die Ausschreitungen und Gewalttaten überlebt hatten, scheuten die Öffentlichkeit. Ihr ehemals so einträgliches Zinsgeschäft war größtenteils in die Hände der italienischen Banken übergegangen.
»Folgt Ihr mir?«, fragte Colard gereizt.
»Man könnte es so sagen. Entschuldigt meine Aufdringlichkeit. Erlaubt, dass ich mich vorstelle, Meister de Fine. Abraham Salomon ist mein Name.«
»Was wollt Ihr von mir, Abraham Salomon?«
Colard fasste den bärtigen Mann ins Auge. Er verspürte eine seltsame Mischung aus Betroffenheit und Abscheu vor ihm. Zwar teilte er nicht die Meinung, dass die Juden die Pest ins Land gebracht hatten und unschuldige Kinder schlachteten, aber die abscheulichen Geschichten über Hostienschändungen konnten schließlich nicht völlig aus der Luft gegriffen sein.
»Ich will Euch ein Geschäft vorschlagen, Meister de Fine.« Der Jude dämpfte seine Stimme. »Entschuldigt, dass ich es auf der Straße tue, aber ich bin mir nicht sicher, ob Ihr mich empfangen würdet, wenn ich Euer Kontor aufsuche.«
»Ihr wollt Tuch kaufen?«
Salomon lachte verhalten. Obwohl schwächlich, fast erbärmlich wirkend, kam er Colard plötzlich bedrohlich vor.
»Verzeiht, Meister de Fine, kein Tuch«, stellte er leutselig richtig und räusperte sich. »Aber für einen Anteil an Euren Handelsgeschäften wäre ich bereit, eine hübsche Summe zu bezahlen.«
»Einen Anteil …«, wiederholte Colard, ehe ihm die Empörung die Sprache verschlug.
»Genauer gesagt, schwebt mir ein Viertel vor«, hörte er Salomon bereits weitersprechen. »Ich wäre somit stiller Teilhaber des Hauses Cornelis. Ich würde Euch keine Vorschriften machen, und Ihr könnt das Geld brauchen, soweit ich weiß.«
»Was wisst Ihr?«
Colards Verblüffung schlug in Zorn um, und er packte den Mann so heftig an seinem weiten Rock, dass dessen Spitzhut in den Staub fiel. Erst der erstickte Ausruf seines Opfers brachte ihn wieder zur Besinnung.
»Das habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben«, knurrte er entschuldigend und trat, vor der eigenen Unbeherrschtheit erschrocken, zurück. »Ihr redet unsinniges Zeug, Salomon. Wir brauchen keine Teilhaber.«
»Seid Ihr Euch da so sicher?«
Der Fremde bückte sich nach seinem Hut, wischte den Staub ab und setzte ihn umständlich wieder auf. Erst jetzt bemerkte Colard, dass er jünger war, als er ihn ursprünglich eingeschätzt hatte.
»Nun, Ihr könnt es Euch noch überlegen«, sagte er gelassen. »In geschäftlichen Dingen sollte man keine hitzigen Entscheidungen treffen. Schickt einen vertrauenswürdigen Boten in die kleine Synagoge am Stadtwall, wenn Ihr anderen Sinnes geworden seid, Meister de Fine. Mein Angebot gilt. Nicht unendlich, aber doch für die nächsten zehn Tage, wenn es recht ist.«
Er wandte sich zum Gehen. Colards Hand hielt ihn an der Schulter zurück.
»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet. Was wisst Ihr, dass Ihr Euch herausnehmt, mir eine Teilhaberschaft anzubieten?«
»Eure Truhen sind leer. Ihr könnt Eure Lieferanten nicht mehr bezahlen.«
Colard versuchte sich seinen Schock nicht anmerken zu lassen.
»Ein Engpass – bedingt durch die Schwierigkeiten im Wollgeschäft. Mein Vetter wird nach dem Erntedankfest Gleitje Korte heiraten.«
»Schön. Dann könnt Ihr sicher auch diesen Schuldschein Eures Vetters einlösen. Er ist zum Erntedankfest fällig.«
Weitere Kostenlose Bücher