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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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besitzt zwar den Verstand eines Sperlings, aber sie hängt an ihrem Ansehen und der Reputation dieses Hauses. Wenn Ruben der Einzige ist, der uns retten kann, wird sie ihn gehen lassen müssen.«
    Joris zweifelte dennoch.
    »Du traust deinem leichtlebigen Vetter wirklich zu, dass er den würdigen Abt eines einflussreichen Klosters um den Finger wickelt?«
    »Du kannst dich darauf verlassen, dass ich ihm jedes einzelne Wort einbleue. Ich habe bereits einen Knecht nach Gent geschickt, ihn heimzuholen. Es ist seine und unsere letzte Chance, das Ruder herumzureißen. Hätte er nicht unser Gold dem Herzog in den Rachen geworfen, gäbe es andere Möglichkeiten. Aber so …«
    »Die Mönche werden auf Bezahlung im Voraus bestehen, wenn Ruben Erfolg hat. Hast du in diesen alten Papieren auch noch ein paar vergessene Schuldscheine gefunden?«
    Colard schichtete eben den Urkundenwust in die Truhe zurück. Mit einem schiefen Grinsen sah er auf.
    »Das wäre mehr als ein Wunder. Nein, mir bleibt nur ein Weg.«
    Joris ahnte, welcher.
    »Du denkst an das Haus am Walplein. Die Bank der Venezianer. Denk an die Zinsen. Schon die Zinsen für die erste Anleihe sind reiner Wucher.«
    Colard schloss mit einem Knall den Deckel über den Unterlagen, ohne zu bemerken, dass eines der losen Blätter, vom Zugwind bewegt, vom Tisch segelte. Er wuchtete den schweren Kasten in den Schrank zurück und strich sich im Aufrichten die Haare aus der Stirn.
    »Lass uns die Probleme der Reihe nach lösen. Heißt es nicht, der Herzog habe seine Anleihen bei den Brügger Kaufleuten mit Juwelen bezahlt? Vielleicht ist Rubens Ausflug nach Gent ja doch noch zu etwas nütze.«
    Colard wartete bis weit nach Sonnenuntergang, ehe er sich auf den Weg zum Walplein machte. Er war kein Mann, der unangenehme Pflichten vor sich herschob, aber er wollte nicht gesehen werden. Erst nachdem die Abendglocke zur Ruhe gerufen hatte, trat er aus dem Haus. Hinter den neun geschlossenen Stadttoren und fünf Meilen langen Wällen bereitete sich Brügge für die Nacht vor, während er durch die Dunkelheit eilte.
    Lediglich an den hölzernen Kränen im Minnewaterhafen und an der Waterhalle mitten in der Stadt leuchteten Laternen. Die gewaltigen Laufräder und Scharniere der Konstruktionen, die des Tages die Lasten von den Schiffen entluden, konnten nur bei Nacht geschmiert und instandgesetzt werden. Colard machte extra einen Umweg, damit ihn keiner der Kranmänner entdeckte.
    Am Walplein ließ er den Türklopfer so behutsam gegen das Holz fallen, dass kaum mehr als ein leises Pochen hörbar wurde. Dennoch öffnete sich die Tür derart schnell, dass es ihm vorkam, als habe man drinnen bereits auf seinen Besuch gewartet. Im Lichtschein einer Laterne sah er die Umrisse eines Mannes seiner Größe, dessen Züge im Schatten blieben. Lediglich die Konturen eines Kinnbartes konnte er erkennen. Contarini trug keinen Bart.
    »Verzeiht die späte Störung«, entschuldigte sich Colard höflich. »Ist es möglich, ein Wort mit Messer Contarini zu sprechen?«
    »In welcher Angelegenheit?«
    Etwas in Stimme und Tonfall des Mannes kam Colard bekannt vor. Seine dunkle Kleidung war schlicht, aber nicht ärmlich. Seine Haltung sprach von Selbstbewusstsein, aber die Art, wie er das Licht mied, verriet Vorsicht.
    »Das würde ich ihm gerne selbst sagen.«
    »Ihr kommt spät, falls es sich um Geschäfte handeln sollte.«
    »Wer seid Ihr, dass ich Euch darüber Rechenschaft geben soll? Ist Herr Contarini zu Hause?«
    Der Mann stellte die Laterne auf einen Tisch und trat mit einer einladenden Geste einen Schritt zurück.
    »Ich vertrete Messer Contarinis Angelegenheiten während seiner Abwesenheit. Wollt Ihr nicht eintreten?«
    »Contarini ist gar nicht in Brügge?«
    »Dringende Familienangelegenheiten haben ihn nach Paris gerufen. Seine Geschäfte in Brügge werden in dieser Zeit von mir geführt.«
    »Wann erwartet Ihr ihn zurück?«
    »Zu Beginn der nächsten Woche.«
    »Dann komme ich wieder. Gute Nacht.«
    Colard machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Nacht. Es kam nicht in Frage, dass er einem Fremden sein Anliegen vortrug. Domenico Contarini hatte zwar nicht den Ruf eines Menschenfreundes, aber er hielt sein Wort, und es gab keine Gerüchte über betrügerische Machenschaften seiner Bank. Das war mehr, als man über manch anderen Bankier in dieser Stadt sagen konnte, in der alle Geldwechsler des Abendlandes ihr Geschäft machen wollten.
    An der Marienbrücke vor dem Sint-Jans-Hospital

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