Die Stunde des Venezianers
sich, aber die Art, wie sie den Kopf reckte, glich einer Kriegserklärung.
»Deine Frau?« Sophias ohnehin schrille Stimme überschlug sich. »Was soll der Unsinn? Du hast keine Frau, ehe du nicht Gleitje Forte zur Frau nimmst.«
»Gleitje?« Ruben brach in Gelächter aus. »Seht Euch meine Frau an, Mutter, dann begreift Ihr, dass Ihr Euch lächerlich macht.«
Colard verbarg seinen Schock geschickter. »Mein lieber Vetter, du bist immer für eine Überraschung gut. Ist in Gent das Heiratsfieber ausgebrochen?« Es klang spitz. Aimée heftete den Blick auf Colard. Was erlaubte er sich? Dass Rubens Familie überrascht war, konnte sie verstehen, aber diese Art der Ablehnung war ungehörig.
»Seine Gnaden, Herzog Philipp, hat mir die Gunst erwiesen, eine Gemahlin für mich auszusuchen. Aimée von Andrieu stammt aus der Freigrafschaft Burgund. Ihr Vater war der älteste Sohn des Grafen von Andrieu. Sie ist Edeldame von Geburt und gehörte zum Hofstaat der Herzogin. Der Erzbischof von Cambrai hat unseren Bund gesegnet, der Herzog und seine Gemahlin unseren Schwur bezeugt und beurkundet.«
Ruben genoss es sichtlich, seine Frau in dieser Form vorzustellen. Es kam ihm zupass, dass sich mittlerweile auch das Gesinde versammelt hatte. Er wusste, dass der Tratsch die Neuigkeit in Windeseile in Brügge verbreiten würde. Ruben Cornelis hatte eine Edeldame zur Frau genommen. Mit Ruben Cornelis musste man künftig rechnen.
»Das würdest du nicht erfinden. Oder doch?« Seine Mutter schaute verunsichert von ihm zu Aimée und wieder zurück. »Wie konntest du uns das antun. Heiraten, ohne uns zu fragen, ohne den Segen deiner Mutter, und ohne sie an deiner Seite zu haben?«
Ruben rückte die federgeschmückte Kappe zurecht, die er sich nach dem Vorbild des Herzogs zugelegt hatte.
»Hört auf zu lamentieren, Mutter. Ich habe mein Glück in Gent gefunden. In jeder Beziehung. Der Herzog ist mir wohlgesinnt. Eure Enkelsöhne werden Edelmänner sein und bei Hofe ein und aus gehen. Sie werden zu den Vertrauten von Königen und Fürsten zählen.«
Sophias Misstrauen gipfelte in einer Reihe kleinlicher, misstrauischer Fragen, die Ruben schließlich verärgerten. »Herrgott noch mal, Mutter, beruhigt Euch wieder. Ich bin kein Kind mehr«, sagte er in einem Ton, den er ihr gegenüber zum ersten Mal gebrauchte.
Sie lauschte seinen Worten mit schief gelegtem Kopf. Er war der Mittelpunkt ihres Lebens, und sie spürte, dass sich etwas in ihm verändert hatte. Gent und diese Frau hatten ihren Sohn gewandelt, und die Verwandlung gefiel ihr ebenso wenig wie die Frau. Sie passte nicht nach Brügge, nicht in das Haus Cornelis. Sie war zu fein, zu edel, zu schön, zu selbstbewusst. Man musste nur sehen, wie wenig dieser barsche Empfang sie einschüchterte. Sie würde auf alle herabsehen und erwarten, dass man sie bediente.
»Kopf hoch«, forderte Ruben eine Spur versöhnlicher und wandte sich an Colard. »Unsere Pechsträhne ist vorbei. Das Haus Cornelis wird in altem Glanz und neuer Macht erstrahlen.«
»Schön. Aber was willst du Gleitje Korte sagen?«, fragte Colard trocken.
»Nichts«, erwiderte Ruben ebenso trocken. »Ich habe weder ihr noch ihrem Vater etwas versprochen. Wenn sie ihre Wünsche mit der Wirklichkeit verwechseln, so ist das nicht meine Sache. Und nun lasst uns hineingehen. Wir sterben vor Hunger und Durst! Ach ja, und sag den Knechten Bescheid, Vetter. Das Fuhrwerk mit unserem Gepäck und Aimées Kammermagd werden bald eintreffen. Sorg dafür, dass die Sachen sorgsam entladen und ins Haus gebracht werden. Ich nehme an, wir werden uns im zweiten Stock einrichten.«
Aimée schwieg und lauschte. Zwischen Colard und Ruben herrschte eine Spannung, die über den Spott, er ernähre sich von Aktenstaub, hinausging. Welche Auseinandersetzung hatten die beiden wohl wegen dieser Gleitje Korte? Plötzlich bemerkte sie den forschenden Blick Colards auf sich gerichtet.
Wofür hält er mich? Für ein Kalb mit zwei Köpfen?
»Versteht sie uns überhaupt?«, fragte in diesem Augenblick Rubens Mutter mit gehässigem Unterton.
»Sie spricht das Flämische wie wir, Mutter«, entgegnete Ruben gelassen, legte den Arm um Aimées Taille und führte sie an allen vorbei die Stufen hinauf ins Haus. »Gott segne deinen Eintritt in mein Haus, liebste Aimée.«
Aimée vergaß zu antworten. Sie stand inmitten einer Halle von beeindruckender Höhe. Vor dem Hintergrund der schmalen, hohen Glasfenster stieg eine polierte Holztreppe mit geschnitztem
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